Tod am Krimifestival

Christine Bonvin fühlte, wie sich Müdigkeit in ihr breitmachte. Das Krimifestival konnte ihr für ein paar Minuten egal sein. Sie hatte alles getan, damit es ein Erfolg wurde.

Jetzt gönnte sie sich eine kleine Pause an einem Tisch am Rande der Terrasse des Parktheaters. Nur für einen Augenblick sagte sie sich, nur kurz die Augen schließen, um die Leser und Autoren auszublenden, die ständig mit irgendwelchen Fragen zu ihr kamen.

Sie konzentrierte sich endlich einmal wieder auf sich selber, anstatt auf die Leute, die ständig etwas von ihr wollten, hörte in sich hinein. Ihr Körper meldete sich: Nervenbahn Blase an Hirnzentrum – Blase ist voll! – Empfehle dringendst Entleerung.

Ach Gott, dachte sie, das kann noch warten. Ich ruh mich jetzt ein bisschen aus.

Sie blieb weiterhin still auf ihrem Stuhl sitzen, ihr Kaffee war längst ausgetrunken. Brosamen ihres Sandwichs auf der Tischplatte lockten ein Spatz an, der sie vorsichtig beäugte. Soll er doch, dachte sie. Sie schloss wieder die Augen.

Christine Bonvin lief rasch die Treppe hinunter zu den Toiletten im Foyer des Parktheaters. Sie konnte es sich nicht leisten, später dorthin zu gehen. Ein Vortrag über Rechtsmedizin stand auf dem Programm. Da musste sie hin. Ich nehme die erste WC-Kabine, dann verliere ich nicht zu viel Zeit, dache sie. Erschrocken hielt sie inne, als sie die Frau am Boden neben der WC-Schüssel liegen sah. Es war Ina, Autorin und wie sie Vorstandsmitglied von Krimi Schweiz. War Ina schlecht geworden, war ihr erster Gedanke. Erbrochenes sah Christine Bonvin nicht, doch ein dünnes Rinnsal Blut war aus einem runden Loch auf Inas Stirn geronnen, ein Einschussloch, ganz bestimmt. Mein Gott!, keuchte Christine Bonvin.

Ihr Puls schlug schneller. Das gibt’s doch nicht: Mord an einer Krimi-Autorin? Bei einem Krimi-Festival? Ausgerechnet! Wer war die Person, die Ina getötet hatte?

Sie rief die Nummer 144 an. Kaum war der Anruf zu Ende, stürmten ein Sanitäter und drei Polizisten in die Damentoilette. Unsicher machte Christine machte ein paar Schritte rückwärts und suchte zitternd Halt an einem der Waschbecken neben den WC-Kabinen.

«Das ging aber schnell», sagte sie erstaunt. «Es ist noch keine Minute her, dass ich Sie gerufen habe. Wie ist das möglich?»

«KI», brummte der Sanitäter.

«Aha», sagte Christine Bonvin, die wusste, was künstliche Intelligenz ist.

Der Älteste der Polizisten hatte seinen Blick langsam über die am Boden liegende Ina wandern lassen. Jetzt stand er Christine Bonvin breitbeinig gegenüber.

«Frau Bovin. Wie war Ihr Verhältnis zu der Frau?» Der Ton, in dem er dies sagte, ließ sie vermuten, dass er sie verdächtigte, ihre Autorenkollegin umgebracht zu haben.

«Wir sind … ». Sie stockte. «Wir waren gute Kolleginnen. Zusammen mit anderen haben wir das Krimifestival organisiert. Ich bin für das Administrative und die Finanzen zuständig. Sponsoren und solche Dinge.»

«Verstehe. Und was macht die Pistole in Ihrer Handtasche? Ist das eine Attrappe?»

Verwundert nickte Christine Bonvin. «Ja.» Sie holte die Pistole heraus. «Die brauche ich für meine Lesung am Nachmittag. Aber wie können Sie wissen, dass ich die dabeihabe?»

«KI», antwortete der Polizist lapidar und nahm ihr die Pistole ab.

Ihr blieb der Mund offenstehen, dann fragte sie in einem Ton, als würde sie sich über den Polizisten lustig machen: «KI? So weit sind Sie schon? Das heißt, Sie wissen schon vorher, wann und wo ein Mord passiert.»

Der Polizist nickte.

Mit einem listigen Blick fragte sie: «Und warum verhindern Sie die Morde nicht gleich, wenn Sie doch alles wissen.»

Er schwieg. Dachte, dass es eigentlich an ihm war, Fragen zu stellen und nicht an ihr. Aber so war das mit diesen verflixten Autoren. Die brauchten Stoff für ihre Krimis. Die hatten ja alle keine Ahnung, wie es wirklich läuft.

«Herr …», begann Christine Bonvin zögernd. «Sie haben sich vorher kurz vorgestellt. Wie war schon wieder Ihr Name …?»

«Stieg Larsson.» Bei diesen Worten richtete er die Pistole gegen sie. «KI weiß noch lange nicht alles. Dann wollen wir mal sehen, ob das hier wirklich eine Attrappe ist, Frau Evard. Sie heissen doch Evard, soweit ich das von KI mitbekommen habe. Und ich weiss auch, dass Sie Genusskrimis schreiben. Da passt doch eine Pistole nicht dazu. Und weil das hier eine Attrappe ist, drücke ich jetzt mal ab.»

Christine Bonvin hörte einen Knall und spürte nahezu gleichzeitig, wie dumpf etwas ihren Oberkörper traf. Das war’s dann wohl mit Krimi-Schreiben war ihr letzter Gedanke.

Doch dann öffnete sie vorsichtig die Augen, um ein letztes Mal den azurblauen Himmel anzuschauen. Blinzelte gegen das Sonnenlicht.

Christoph Gasser sah sie grinsend an, hob den Korken vom Boden auf, der sie getroffen hatte.

«Sorry, war nicht Absicht.» Er schenkte ihr Prosecco ein, dann auch in sein Glas und prostete ihr zu. «Auf den Erfolg unseres Krimifestivals»

Als er sie näher betrachtete, musste sich Christoph Gasser ein Lachen verkneifen,

«Was hast du da auf deinem Kleid?»

Auf ihrer Bluse klebte eine weißlich-gelbe Masse, die zu stinken anfing, stellte Christine Bonvin fest. Rasch wischte sie die Vogelscheiße von ihrem Kleid. Dann stand sie energisch auf, froh, den Krimiautor und Mitorganisator des Festivals vor sich zu haben und nicht den Polizisten, der sich einen Spass mit ihr erlaubt hatte, als er behauptet hatte, er sei der berühmte Krimiautor Stieg Larsson.

Diesen Kurzkrimi habe ich nach dem Krimifestival geschrieben. Und nun zu meinen Impressionen vom Festival:

Kurzlesungen und Interviews

Bei den Kurzlesungen am Vormittag habe ich aus meinem neuen Krimi «Mord hinter dem Vorhang» gelesen. Für mich war das eine Premiere. Wir Autorinnen und Autoren hatten nur 10 Minuten Zeit dafür. Ich las aus drei Schlüsselkapiteln in meinem Buch vor. Später bekam ich nicht nur Komplimente für meine Lesung, sondern auch für mein neues T-Shirt, das ich für den Anlass entworfen habe.

Im Foyer des Parkhotels in Grenchen hatte ich zwischendurch Zeit vier spannende Interviews zu führen: mit einer Leserin, mit einer Rechtsmedizinerin, die Krimis schreibt, mit der Filialleiterin von Lüthy Solothurn und einer Buchhändlern von Lüthy Solothurn, und mit einer Autorin und Mitorganisatorin des Anlasses.

Kurzlesungen, Interviews und mehr

Ein Höhepunkt des Festivals war die Verleihung des Schweizer Krimipreises. Dieser Preis würdigt aussergewöhnliche Leistungen im Bereich der Kriminalliteratur und ehrt Autoren, die mit ihren Werken neue Massstäbe setzen.

Eine Buchhändlerin packt aus

Aus und vorbei

Daniela Kämpfen, Buchhändlerin und Aussteigerin

Beinahe vierzig Jahre lang lief ich Jeden Morgen die alte Simplonstraße in der Altstadt von Brig hoch zur Berufsfachschule. Bis zu meiner Pensionierung unterrichtete ich dort KV-Lernende und Berufsmaturanden. Morgens und abends führte mein Weg am Wegenerplatz mit seinen kleinen Läden vorbei. Das Schaufenster eins Ladens musterte ich beim Vorbeigehen jeweils genau: Das der Buchhandlung & Papeterie Wegenerplatz.

Die kleine Buchhandlung

Ab 1997 führte Daniela Kämpfen dort an der alten Simplonstraße 20 während zweiundzwanzig Jahren das kleine Geschäft im grünen Haus mit dem historisch anmutenden Aushängeschild “Wegenerplatz”. Danach war Schluss. Vor dem Laden stellte sie für jeden etwas aus, Bücher, Bestseller, Flops und Must-Haves für Studierende, Hausfrauen. Im Inneren fanden sich Radiergummis, Schreibhefte, Karten und nochmals Bücher. Alles für den Alltag eines Studierenden, einer Leseratte oder eines Lyrikliebhabers und allen anderen.

gekürztes Interview
Interview in voller Länge

Tukan im Schaufenster

Daniela Kämpfen, schmückte das Schaufenster ihres Buchladens oft auf eine eher unkonventionelle Art. An eine Gestaltung ihres Schaufensters erinnere ich mich besonders. Damals stand links ein kleiner, roter Kühlschrank, in der Mitte saß ein mittelgroßer Tukan auf einem künstlichen Ast, darunter standen grüne Softgetränkflaschen mit einem Tukan auf der Etikette. Künstliche Palmwedel und all das, was ein Dschungelfeeling sonst noch so alles unterstreichen konnte, rundete das Ganze ab. Zuunterst waren sogar Papierservietten und Kissen mit Tukan-Abbildungen zu sehen. Was das alles mit Büchern zu tun hatte, war mir schleierhaft.

Passionsfruchtsaft

Auf einem A4-Blatt neben dem Kühlschrank fand ich des Rätsels Lösung, um was es bei der originellen Inszenierung ging. Lernende des örtlichen Gymnasiums Spiritus Sanctus hatten in einer Abschlussarbeit ein Unternehmen gegründet und ein neues Produkt lanciert: Den Tukan-Drink „Passoias“, auf der Basis von Passionsfruchtsaft. Daniela Kämpfen unterstützte die Schüler, stellte ihnen ihr Schaufenster zur Verfügung, um für den neuen Drink zu werben. Das Schaufenster fiel gewaltig auf, machte Lust den Laden zu betreten, um das Tukangetränk auszuprobieren.

Ich habe damals eine Flasche gekauft und den Drink noch im Laden ex getrunken, es schmeckte wunderbar. Die Flaschen, die ich nach Hause nahm, waren schnell ausgetrunken.

Ob die jungen Leute Erfolg mit ihrem Drink hatten, ob es ihr Unternehmen noch gibt, weiß ich nicht.

Ein sicheres Geschäft

Erfolg hatte Daniela Kämpfen mit ihrem Laden während vielen Jahren. Zweiundzwanzig Jahre lang führt sie die Buchhandlung. Die Kundschaft, Lernende und Lehrkräfte, lief tagtäglich auf dem Weg zu drei Schulen an ihrem Laden vorbei. Ihr Ziel war entweder das Gymnasium, die Berufsfachschule oder die Mittelschule der Klosterfrauen. In Kämpfens Laden kauften die Lernenden ihre Schulbücher, -hefte und was man sonst noch im Unterricht so brauchte. Die Lehrpersonen ihrerseits bestellten Klassensätze von Lehrbüchern und ließen sie sich in die Schulen liefern. Ein sicheres Geschäft. Zu Beginn des Schuljahres gab‘s am Meisten zu tun. Doch das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert.

(Bildquelle canal 9)

Die Schulwelt veränderte sich. Mehr und mehr verzichteten Schulen auf gedruckte Lehrbücher, wechselten zu digitalen Lerninhalten. Abgelegt wurden die Arbeitsunterlagen immer weniger in Ordnern.

Zu wenig zum Leben

In den letzten Jahren, in denen ich unterrichtete, führten wir an der Schule Google Classroom ein, eine Internetplattform, bei der Hausaufgaben, Gruppenarbeiten usw. Papierlos bearbeitet werden. Solche und ähnliche Entwicklungen war der Anfang vom Ende des kleinen Ladens am Wegenerplatz. Gegenüber dem Lokalradio rro sagte sie: „Es hat in den ganzen Jahren immer wieder Einbrüche gegeben, wo es auch für mich knapp wurde.” Kleine Läden hätten in der heutigen Zeit des Onlinehandels und der Großverteiler Mühe. Jahrein, jahraus wussten Schüler, dass es an der Ecke im kleinen Bücherladen die Bücher zu kaufen gab, die man brauchte.

Die Situation im Gewerbe sieht für Daniela Kämpfen auch in Zukunft nicht gut aus: “Als Detailhändler, der davon leben muss, wird es schwierig. Das merke ich schon seit Jahren.” Sie mache am Samstag gar nicht auf, da es keine Laufkundschaft gebe, erklärt Kämpfen weiter.

Die Schließung

Die Entwicklung nahm ihren Lauf. Das kleine Geschäft von Daniela Kämpfen brachte ihr nicht mehr genügend ein, dass sie davon hätte leben zu können. Sie musste die Buchhandlung & Papeterie Wegenerplatz nach zwanzig Jahren schließen. Daniela Kämpfen schlug danach neue Wege ein. Sie wanderte aus, aber wo wohin und zu welchem Zweck?

Hör dir die Geschichte von Daniela Kämpfen im Video-Interview an. Du hast die Wahl zwischen einer Kurzversion und einer Version des ganzen Interviews.