Krimi-Lesung im Bula 2022

im Kafi Dschinni

Ein Bundeslager im Goms mit 30‘000 Pfadis. Ein Krimi mit dem Titel „Die Vergeltung des Engels“. Passt das zusammen? Und wenn ja, wie?

Es passt. Denn das Zentrum des Bundeslagers zieht sich über die ganze Länge der ehemaligen Militärflugpiste von Ulrichen bis Geschinen genau über jenes Landstück, wo der größte Teil der Handlung meines Krimis spielt. Im östlichen Teil der Flugpiste lernen die Fahrschüler eines Driving Centers alle möglichen Fahrtechniken. Gegen das Ende der Flugpiste im Westen steuern Modellflieger ihre Flugzeuge in waghalsigen Manövern in der Luft. Vom letzten Drittel der einstigen Flugpiste sieht man nichts mehr: Hier lädt ein See zum Baden, Fischen oder zum Beobachten der Vögel in einem Biotop ein.

All das sind Schauplätze in meinem dritten Krimi. Und weil dem so ist, bekam ich die Chance, im Bundeslager eine Krimi-Lesung zu machen. Erst als ich in der mova-App sah, dass meine Lesung unter Info, Walk-in, mova-Beizen & Rover aufgelistet war, war ich sicher, dass es klappen würde.

Meine Lesungen – meine Videos

Wer schon mal in einer meiner Lesungen war, weiß, dass ich nicht allzu viel vorlese. Dass ich Videos zu meinen Krimis zeige, in denen wunderschöne Bilder zu sehen sind. Videos, die höchst spannend sind und die mit passender Musik untermalt sind. Sie zeigen konkrete Schauplätze und Buchinhalte.

Dass ich Videos zeige, war ein großer Vorteil im Kafi Dschinni, in dem ich am 28. Juli «aufgetreten» bin. Mein Anlass gehörte zu den «Walk in»-Aktivitäten. Das heißt, jeder kann kommen und gehen, wann er will. Das Publikum am Anfang war nicht das gleiche wie das Publikum am Ende meiner Vorstellung. Ich habe mein Programm zweimal durchgezogen. Es hat Spaß gemacht. Dem Publikum und mir. Am besten gefielen den Leuten meine Videos.

Vorarbeit

Gekommen sind Rovers (Pfadi-Leiter). Für diese galt das Angebot meiner Lesung, nicht für die jüngeren Pfadis. Für die habe ich einen Kurz-Krimi geschrieben: «Pfadi Franz und der Riesen-Fisch vom Geschinersee), siehe Blog vom 20. Juli 2022.

Wenn du das Video zu meiner Krimi-Lesung im Kafi Dschinni schaust, kannst du sehen, dass es schwierig war, Videos zu zeigen. Im Vorfeld habe ich eine Leinwand gebastelt aus drei Dingen: 1.50 m Stoff, beidseitig klebendes Montageband und zwei 1.63 m lange Rundhölzer.

im Kafi Dschinni, Kontinentsplatz Oscilla

Ich hatte keine Ahnung, wie die Beiz aussehen würde, in der ich meine Lesung abhalten sollte. In meiner Vorstellung war es eine Art Hütte aus Holz. Und so war es auch.

Aber das Kafi Dschinni war wunderschön: orientalisch, mit chilligen Loungesesseln, in einem äußerst speziellen Look. Ich habe mir sofort vorgestellt, dass um die Hütte ein Dschungel wäre und dass ich liebend gerne immer wieder herkommen würde, um zu chillen und ein Glas Wein zu trinken. (Im Kafi gab’s nur alkoholfreie Getränke 😊

Als ich das Kafi von innen sah, stellte sich mir sofort eine für mich wichtige Frage: Wo sollte ich die Leinwand anbringen? An den Wänden aus grobem Holz hingen Holzskulpturen eines Künstlers. Dort durfte ich die Leinwand nicht aufhängen. Die einzige Möglichkeit war der Dachbalken. Ein zwei Meter langer junger Mann aus der Küchen-Crew kam mir zu Hilfe und befestigte meine Leinwand mit Kabelbindern. Jetzt sah man die Küchen-Crew nicht mehr. Aber das System sollte sich bewähren.

Im Anschluss an meine Lesung war ich zum Podcast eingeladen. Der Chef des Kafi Dschinni, Pfadi-Name: Twister, machte ein Interview mit mir.

Zum Schluss

Es war ein echt tolles Erlebnis, für mich bleibt es unvergesslich. Die Atmosphäre, die Leute, das Kafi Dschinni. Einfach alles. Schade nur, dass die Zeit so schnell verging.

Laufzeit 10:36 Minuten

BuLa-Kurz-Krimi

https://brigitta-winkelried.com/wp-content/uploads/2022/07/Pfadi-Franz-und-der-Riesen-Fisch.wav
Vorgelesen von der Autorin

Franz war klein und dünn. Auf seiner Nase saß eine runde Hornbrille mit Gläsern wie Flaschenböden. Kurz nach dem Mittagessen war er mit seinen Pfadfinderkollegen zum Geschinersee gelaufen: Stand Up Paddling, kurz SUP, stand auf dem Programm.

Er rückte seine Brille zurecht, um den Mann vorne im Neopren sehen zu können. Vergebens. Seine Pfadikollegen vor ihm versperrten die Sicht auf den Leiter des SUP-Kurses. Er stellte sich auf die Zehen, wandte sich nach rechts, dann nach links. Er sah einfach nur die Boards, die auf der Sandbank lagen und die nackten Füße des Leiters.

Franz zuckte mit den Schultern und nestelte an seiner Badehose herum. Warum behandelte ihn seine Mutter immer noch wie ein Kind und hatte ihm diese altmodische Badehose in seinen Pfadi-Rucksack gepackt, die vom vielen Waschen längst ihre Form verloren hatten und immer wieder von seinen Hüften zu gleiten drohten?

Er lauschte den Worten des Mannes vom Gommer Sportgeschäft, der ihnen erklärte, was sie tun sollten, um schön übers Wasser zu gleiten. Das Stand Up Paddling im Geschinersee schien nicht allzu schwierig zu sein. Verstohlen schaute er zu Wolfgang hin, der weiter vorne stand: Ein arroganter Streber. Diesmal würde er Wolfgang ausstechen. Franz verzog das Gesicht, als er sah, wie Melanie, in die er sich am ersten Tag im Bundeslager verknallt hatte, dieses Arschloch Wolfgang anlächelte.

„Auf geht‘s“, sagte der Mann im Neopren-Anzug. „Aller Anfang ist schwer.  Macht es, wie ich euch gesagt habe. Und denkt daran: Eine Abkühlung im Wasser kann auch Spaß machen. Und vergesst nicht: Ein echter Pfadi ist nicht wasserscheu.“

Endlich. Franz atmete tief durch, rannte schnell zwischen den Kollegen durch, vor zu den Boards. Wie ein Könner schob er als Erster eines ins knietiefe Wasser, fasste das Board an beiden Seiten mit den Händen an, kniete sich darauf, stellte einen Fuß nach dem anderen hin, hob langsam seinen Oberkörper auf. Mit zitternden Beinen tauchte er das Paddelblatt komplett ins Wasser und zog es in einem großen Bogen von der Spitze des Boards zum Heck. Das Board drehte sich von der Paddelseite weg, er verlor das Gleichgewicht und landete im Wasser.

Kein Gelächter? Ein Blick auf seine Freunde zeigte ihm, dass ihn niemand beachtete. Alle waren sie zu beschäftigt mit ihren Boards und hatten nicht gesehen, wie er sich blamiert hatte, und leider hatten sie auch nicht gesehen, wie elegant er aufs Board geklettert war. Dass er ins Wasser gefallen war, daran war bestimmt seine Kurzsichtigkeit schuld. Weil er eine Brille trug, war es für ihn viel schwerer auf dem Board im Gleichgewicht zu bleiben und gleichzeitig das Paddel durchs Wasser zu ziehen. Er biss die Zähne zusammen und kletterte zurück aufs Board.

Fünf Minuten später hatte er den Dreh raus. Er lächelte in sich hinein. Einige seiner Freunde hatten mehr Mühe als er. Ha, wer sagt‘s denn: Ich, der Franz, kann es mindestens so gut wie die anderen. Und erst der Wolfgang: Auf dem Board war der die reinste Lachnummer. Wenn das bloß auch Melanie sah!

Ohne dass es ihm bewusstwurde, entfernte er sich mehr und mehr Richtung dem Teil des Sees, der unter Naturschutz stand. Der See sah dort viel idyllischer aus als am See Ende mit der kleinen Sandbank, wo alle gestartet waren. Schwarze Enten mit weißen Flecken auf dem Nasenrücken schauten neugierig zu ihm hinüber. Ein Kranich flog über seinen Kopf hinweg. Plötzlich tauchte ein riesiger Fisch aus dem Wasser auf. Zu spät, um zu reagieren. Sein Paddelboard rammte das Ungetüm. Vollbremsung. Die Enten flogen blitzartig laut schnatternd davon.

Franz wusste nicht, wie ihm geschah und stürzte ins Wasser, verlor dabei seine Brille und seine Badehose, aber nicht sein Paddel. Zum Glück trug er eine Schwimmweste, vor Schreck hatte er nämlich vergessen zu schwimmen. Prustend kam er wieder nach oben, schluckte dabei eine Mundvoll Seewasser, hustete ein paar Mal und fluchte.

 Rasch schwamm er jetzt zurück zu seinem Paddelboard. Ohne Brille sah er nur schemenhafte Konturen und Farbklekse, mehr nicht. Er war halb blind. Seine Finger ertasteten etwas, das sein Board hätte sein müssen. War es aber nicht. Seine Hände lagen auf dem riesigen Bauch des Mega-Fisches, der sogar grösser war als sein Papa. Der graublaue Fisch stank fürchterlich, fühlte sich an wie ein stark aufgepumpter, unförmiger Gas-Ballon, der gleich zu platzen drohte. Igitt, igitt! Der Fisch war glitschig, wie wenn eine Kolonie Algen sich darauf festgesetzt hätte.

Scheisse! Das war kein Fisch! Das war ein Mensch! Ein Toter! Schnell ließ er die Leiche los und schwamm weg.

Jetzt muss ich cool bleiben, sagte er sich, die Kommissare im Fernsehen sehen auch cool aus, wenn sie einen Tatort betreten. Bei dem Gedanken liefen ihm die Tränen über die Wangen. Nein, er schaffte es nicht, er konnte nicht cool bleiben. Er schrie laut um Hilfe, bis ihm der Hals vom Schreien wehtat.

Sein Pfadi-Leiter rannte am Seeufer entlang, bis zu der Stelle, von wo aus er mit dem kleinen Franz reden konnte. Danach ging alles schnell.

Der Pfadi-Leiter telefonierte. Der Mann im Neopren-Anzug tauchte derweil tief ins Seewasser, um Franz Brille zu suchen. Zehn Minuten später waren Polizisten in Uniform da und sicherten die Stelle am Ufer des Geschinersees, auf der Höhe, wo die Leiche mit dem Bauch nach unten im Wasser trieb. Wie im Fernsehen, dachte Franz, der ans Ufer geschwommen und immer noch ohne Badehose war. Ein Polizist ruderte mit einem Gummi-Boot zur Fundstelle. Ein zweiter Polizist tat es ihm nach. Wenig später legten sie den Toten ins Gras neben dem Uferweg.

Franz war geblieben. Seit er wieder eine Badehose anhatte – eine modische Zweit-Badehose ausgerechnet von Wolfgang – und die Brille aufgesetzt hatte, wollte er alles mitansehen, was vor sich ging. Er fühlte sich in einen Krimi hineinversetzt.

Melanie stand wie die anderen Pfadis und ein paar Gaffer hinter der Absperrung und sahen dem Geschehen zu.

Einer der Polizisten, der keine Uniform trug und sich ihm als Kommissar Edgar Steinalper vorgestellt hatte, nahm Franz beiseite.

„Als er da vor meinem Board aufgetaucht ist, dachte ich zuerst, es wäre ein riesengroßer Fisch.“ Franz nickte zu der Leiche hin.

Da Edgar so groß und er, Franz, so klein war, setzten sie sich auf die Wiese am See. Sie redeten von Mann zu Mann. Auf einmal fühlte sich Franz wie ein Held. Dank seinem Spürsinn hatte er geholfen, einem Verbrechen auf die Spur zu kommen.

Eine Frau, viel hübscher als seine Mama, schaute sich den Toten an. Das muss wohl die Rechtsmedizinerin sein. Wie ihm Fernsehen, dachte Franz.

Die Frau redete kurz mit Edgar, der sich danach wieder neben Franz ins Gras setzte und ihm verriet, was er vermutete. Der Tote würde schon seit rund zwanzig Jahren vermisst. Nach dem Lawinenwinter 1999 hätten die Leute von Geschinen einen Lawinendamm gebaut. Dafür hätten sie Material gebraucht. Dadurch sei ein großes Loch entstanden: der heutige See. Bei den Bauarbeiten sei damals ein Arbeiter spurlos verschwunden. Man habe ihn alle die Jahre nie mehr gefunden.

Franz wollte wissen, wie es denn möglich sei, dass ein Mensch so lange im Wasser sein kann, ohne dass man ihn findet. Edgar sagte es ihm.