DAS GESCHENK

eine Weihnachtsgeschichte

Im folgenden Video lese ich dir die Geschichte vor. Den Text zur Geschichte findest du gleich weiter unten. Viel Spass!

in der warmen Stube

Jana nagte an ihrem rechten Daumen. Ihre Augen wanderten zum wiederholten Mal über den Berg von Geschenken auf dem Stubentisch. Wo war denn das Geschenk, das sie für ihre Mama gekauft und mit viel Sorgfalt eingepackt hatte? Es konnte doch nicht sein, dass es verloren gegangen war.

Ihre Mutter packte ein ums andere Geschenk aus. Bisher gingen alle an ihre fünf Brüder und ihre Schwester. Nur Jana hatte noch keins bekommen.  Dabei war sie ganz sicher, ein paar von ihren beiden Tanten Lisa und Crescentia zu bekommen. Grosszüge Geschenke wie all die Jahre zuvor. Hatten die Tanten beschlossen, ihr nichts mehr zu schenken, weil sie schon sechzehn war?

Jana hat noch kein Geschenk bekommen

Neidisch streiften Janas Blicke über die Geschenke, die ihre Geschwister bekommen hatten. Möglich, dass Mama genau wusste, welche Geschenke von wem stammten und für wen sie bestimmt waren. Hatte sie absichtlich mit dem Geschenk für den jüngsten Bruder begonnen? Als Drittälteste wäre jetzt doch sie an der Reihe.

Hegt Mama einen Groll gegen mich, fragte sich Jana, weil ich beim Weihnachtsessen das Tischtuch in Brand gesetzt habe? Ich kann wirklich nichts dafür, dass zwei der Kerzen im goldenen Kerzenständer umgefallen sind, als ich Papa Wein nachschenken wollte. Und wer hat dann das Feuer sofort mit dem Wasser aus der Karaffe gelöscht? Das war ich, niemand sonst. Gespannt sah sie, Mama ein voluminöses Paket auspacken. Es musste schwer sein, denn ihr Bizeps war unter dem engen T-Shirt deutlich zu erkennen.

Römertopf

 Im nächsten Augenblick zog die Mutter einen ovalen Topf mit einem Deckel aus der Schachtel. Sie hob den Deckel an, holte eine Broschüre aus dem Topf und überflog rasch die Seiten.

«Das ist ein Römertopf. Aus Keramik. Damit kann man gesund und vielseitig kochen. Die Römer haben anscheinend ähnliche Tontöpfe verwendet.»

Oh, nein, dachte Jana, das darf nicht wahr sein. Enttäuscht schloss sie die Augen. So ein Scheiss! Tante Crescentia hat Mama einen Römertopf geschenkt. Mit diesem blöden Topf hat mir meine Taufpatin den Abend verdorben. Jetzt ist mir egal, was Crescentia mir schenkt. Hoffentlich keinen weiteren Pullover wie die letzten Jahre. Der flaschengrüne Kapuzenpullover vom Vorjahr war ihr Lieblingsstück. So einen gab es nicht noch einmal. Sie wünschte sich keinen neuen. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass mein Geschenk für Mama verloren gegangen ist. Aber wo ist es denn?

noch ein Römertopf

Für Jana wurde der Weihnachtsabend zu einem bösen Traum, aus dem sie am liebsten möglichst schnell aufgewacht wäre. Doch es kam noch schlimmer. Das Geschenk von Tante Lisa für Mama entpuppte sich ebenfalls als Römertopf. Gequält schloss Jana die Augen, als könne sie diesen Topf wegzaubern.

Zwei Töpfe! Das war einer zu viel, dachte wohl die Mutter und packte den Römertopf wieder in die Geschenkschachtel hinein.

Danach kam Jana an die Reihe mit den Geschenken. Mit einem gespielten Lächeln nahm sie von ihrer Mutter drei Geschenke von Tante Lisa und Crescentia entgegen: Eine iWatch, ein Buch mit dem Titel «Tschick», eine Geschichte von zwei Jungen, die mit einem Auto irgendwelche Abenteuer erlebten, einen rosafarbenen Pullover mit einem Barbie-Schriftzug und sechs Dessertgabeln für Janas bald vollständige Silberbesteck-Aussteuer.

Barbie-Pullover

Jana konnte sich nicht recht über die grosszügigen Geschenke freuen. Was sollte sie mit einer Geschichte über zwei Jungen? Den Barbie-Film hatte sie doof gefunden. Dieser Film über eine Puppe war geschmacklos. Und dann erst dieser weichgespülte Ken! Kein Mann, der ihr Herz höherschlagen liesse. Hätte ihre Freundin sie nicht überredet, wäre ihr der Film erspart geblieben. Stirnrunzelnd beschloss Jana, den Pullover so bald als möglich ganz hinten in ihrem Schrank verschwinden zu lassen. Die iWatch von Tante Lisa hingegen war echt toll.

 Ein Blick zum Stubentisch, wo nur noch ein einziges Geschenk lag, liess Janas Herz schneller schlagen: Da war es ja! Endlich würde Mama Janas Geschenk auspacken. Aufgeregt rutschte Jana auf dem Sofa mit dem Hintern nach vorn, bis zur Kante. All Ihr Taschengeld, das sie hatte erübrigen können, hatte sie für Mamas Geschenk gespart. Im Haushaltwarenladen hatte man ihr sogar zehn Prozent Rabatt eingeräumt. Wahrscheinlich, weil die Ladeninhaberin ihre Mutter kannte.

Florian, der Charmeur

Als Jana mit dem Paket in der Rechten und einer vollen Einkaufstasche vor dem Laden stand, hatte ein junger Mann sie angesprochen, ob er ihr beim Tragen helfen könne, das Paket sähe aus, als sei es zu schwer für eine so zarte Lady wie sie. Ein Gentleman, hatte Jana bei sich gedacht. So viel Charme war sie nicht gewohnt. Der Mann in Cordhosen, Flanellmantel und hellrosa Mütze stellte sich als Florian vor und lud sie gleich zu einem Kaffee ins nächste Restaurant ein. 

Florian warf immer wieder Blicke zum Paket, das er neben ihr auf den Tisch gestellt hatte. Er liess den Kaffee in der Tasse kreisen und nahm den letzten Schluck.

«Was ist in der Pappschachtel?», fragte er.

Jana blickte in sein Gesicht, blaue Augen, dunkler Schnauz, ein Musiker vielleicht? Auf jeden Fall sehr sympathisch. Es konnte nicht schaden, ihm zu sagen, was sie für Mama gekauft hatte, dachte sie, löste die Verschnürung um das Paket, und hob auf allen Seiten der Schachtel die Deckel an.

Ausgiebig bewunderte er den Tontopf von allen Seiten.

«Wozu kann man das Ding denn verwenden?», erkundigte er sich stirnrunzelnd, hörte ihr aufmerksam zu, als sie wiederholte, was die Verkäuferin über den Topf gewusst hatte.

das Foto

«Aha, zum Kochen im Backofen», sagte er. «Da wäre ich nie draufgekommen. Ich finde ihn schön. Deine Mutter wird sich bestimmt sehr über den schönen Topf freuen. Darf ich mal?» Er hob den Topfdeckel und schaute den unteren Teil des Topfes interessiert an. «Darf ich ein Foto von dem Topf machen? Ich möchte eventuell für meine Mutter auch einen kaufen.»

«Okay», antwortete Jana. «Aber wäre das Foto nicht schöner, wenn etwas im Topf drin wäre? In meiner Einkaufstasche habe ich Fleisch und Gemüse. Würde der Römertopf nicht besser aussehen mit solchen Dingen drin?»

«Gute Idee. Ich mache das, wenn du erlaubst.»

Derweil Florian mit Lauch, Rüben, Blumenkohl und Tomaten im Topf arrangierte, trank Jana den Rest Glühwein aus und verschluckte sich dabei. Der Husten war so stark, dass sie ruckartig aufstand und zum Kellner an der Theke eilte, um ihn um ein Glas Wasser zu bitten.

noch einen

«Mal schauen, was im letzten Geschenk ist», sagte die Mutter mit lauter Stimme und holte ihre Tochter in die Gegenwart zurück. Sie entfernte das Geschenkpapier von Janas Paket und strich es sorgfältig glatt.

Jana hielt die Luft an. Oh, je! Gleich würde Mama aus vollem Hals losprusten. Nie hätte sie gedacht, dass das ihr sorgsam ausgesuchten Geschenk für Mama ein Reinfall werden könnte. Wie hätte sie auch ahnen können, dass ihre beiden Tanten dieselbe Schenkidee gehabt hatten wie sie? Drei Römertöpfe als Geschenk für Mama am selben Weihnachtsabend. Wann hat es das schon mal gegeben?

Plötzlich war es im Wohnzimmer mucksmäuschenstill. Sprachlos sahen auf das, was die Mutter mit beiden Händen aus dem Römertopf hervorgeholt hatte. Es sah aus wie die Beute in einem Piratenfilm, wie in Pirates oft the Caribbean: Perlenketten, Goldketten, Golduhren, Colliers. Es glitzerte und funkelte im schummrigen Kerzenlicht von der geschmückten Weihnachtstanne im Wohnzimmer.

der Schmuck

Um einen Schrei zu unterdrücken, schlug Jana die Hand vor den Mund. Wie war der Schmuck in den Topf hineingekommen? Wer spielte ihr einen Streich? Was wohl Mama jetzt von ihr dachte?

Fieberhaft suchte Jana nach einer Erklärung, wie der Schmuck in den Topf hatte gelangen können.

 «Mama, Der Schmuck ist nicht echt. Das sind alles Attrappen. Von H&M. Die Verkäuferin wollte den Tand wegwerfen. Da habe ich sie gefragt, ob sie mir den Schmuck geben könne», sagte Jana verlegen und überspielte ihre Angst vor einer Strafe.

«Das soll ich dir glauben? So ein Unsinn», sagte die Mutter.

Jana zuckte mit den Schultern. «Ich wollte, dass mein Geschenk etwas besonders ist. Das ist es doch. Oder?»

«Das wäre es. Ohne den Schmuck. Deine Erklärung klingt eindeutig unehrlich. Soweit ich das beurteilen kann, ist der Schmuck echt.» Sie zog die Augenbrauen zusammen und schaute Jana mit seinem stechenden Blick an. «Ich möchte jetzt die Wahrheit von dir hören, Jana. Also, woher hast du …?»

Besuch an Weihnachtsabend

Ein Hämmern an der Haustür unterbrach sie. Es hatte schon dreimal geklingelt, nur hatte es keiner von unserer Familie wahrgenommen. Papa fluchte und lief eilig aus dem Wohnzimmer. Überrascht sah Jana, wie Mama schnell den Schmuck dorthin zurücklegte, wo er vorher, und setzte den Deckel wieder auf.

Hätte ich auch gemacht, dachte Jana, wer weiss schon, welche Leute an Weihnachten um zehn Uhr abends zu uns kommen wollen.

der Verdacht

Im nächsten Moment standen zwei Polizisten im Wohnzimmer. Die Bijouterie Zum Goldenen Schloss in der Briger Innenstadt sei beraubt worden. Wertvoller Schmuck, vor allem Halsketten und allerhand wertvolle Juwelen seien gestohlen worden. Vermutlich handle es sich beim Täter um einen jungen Mann mit hellrosa Mütze. Die Überwachungskameras an den Gebäuden rings um den Laden und in der Innenstadt hätten gezeigt, dass zur selben Zeit, als der Einbruch stattgefunden hat, sich Jana in der Nähe des Ladens aufgehalten habe. Sie sei zusammen mit dem Mann in hellrosa Mütze gesehen worden.

Was schenken?

Ich liebe es Geschenke auszupacken. Noch mehr liebe ich es, welche einzupacken. Ich stelle mir dann vor, wie die beschenkte Person reagieren wird, wie sie überrascht sein wird, wie sie Freude ausstrahlen wird. Die Freude fühle ich dann ganz warm in meinem Herzen.

Falls du noch einem Geschenktipp suchst, hier mein Tipp für dich im Video:

Nützliche Geschenke

Einer meiner fünf Brüder dachte lange darüber nach, was er unserer Mama schenken könnte. Das Geschenk durfte auf keinen Fall viel kosten. Er wollte sein Taschengeld sparen. Für wichtigere Dinge. Mama hatte doch schon alles.

die Idee

Da hatte er auf einmal eine Idee, was er ihr schenken könnte. Etwas, das nützlich und billig war. Heimlich kaufte er es im Supermarkt nebenan. Dort fand er auch gleich in einer Ecke Geschenkpapier und eine leere Schachtel. Als er fertig war, sah das Geschenk ganz ordentlich aus. Er war stolz auf sich.

Wie jeden Weihnachtsabend sassen wir nach dem Festessen im Wohnzimmer, wo der geschmückte Tannenbaum bis an die Decke reichte und die aufgestapelten Geschenke die Erfüllung kühnster Träume versprach. Wer würde welche Geschenke bekommen? Wer mehr als der andere beschenkt werden?

Als Mama das Geschenk meines Bruders öffnete, blieb ihr zunächst vor Überraschung der Mund offen stehen, doch dann lächelte sie nur ein zartes Lächeln, anstatt meinen Bruder für sein Geschenk auszulachen. Fürs Auslachen hätten wir Geschwister danach bestimmt gesorgt, wenn nicht Mama uns mit einer Geste Stillschweigen geboten hätte.

der Kartoffelschäler

Er hatte ihr einen Kartoffelschäler geschenkt, weil sie so wunderbar kochte und er seit langem hoffte, seine Magerkeit überwinden zu können. Dann würden ihn seine Kollegen nicht immer hänseln, er sei ein schmächtiger “Strich in der Landschaft” .

Ist die Geschichte wahr?

Ja, ich habe wirklich fünf Brüder? Und eine Schwester.

Mein zweitjüngster Bruder hat unserer Mama wirklich als Kind einen Kartoffelschäler zu Weihnachten geschenkt.

55 Jahre Aktenzeichen XY … ungelöst

Zu diesem Thema stehen zwei Möglichkeiten zu deiner Verfügung. Du kannst den Text selber lesen (siehe unten) oder du lässt ihn dir von mir im nachfolgenden Video vorlesen. Oder beides. Du hast die Wahl.

nachts im Bett

Ich lag im Kinderzimmer, als ich plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde. Mit einem Ruck setzte ich mich im Bett auf. Ich hatte einen furchtbaren Schrei gehört. Da, noch einmal ein Schrei, der durch die Schlafzimmertür drang! Etwas Grauenvolles musste drüben im Wohnzimmer vor sich gehen, wo meine Eltern vor dem Fernseher sassen. Leise schlüpfte ich aus dem Bett und schlich zur Tür.

Der Fussboden war kalt, das Metall der Türklinge ebenso. Nur der Ton des Fernsehens drang blechern bis zu mir. Ich löste das Ohr von der Tür. Leise öffnete ich die Tür. Die Schreie waren eindeutig aus dem Wohnzimmer gekommen. Ich musste unbedingt dorthin.

ich hatte Angst

Lautlos schlich ich in diese Richtung, liess die Türen zum Flur dennoch nicht aus den Augen. Nichts. Wieder hörte ich, wie meine Mutter einen Schrei ausstieß, diesmal leiser. Endlich sah ich sie. Sie schien in Ordnung zu sein, Papa auch. Aber weshalb hatte Mama geschrien?

Bevor ich das nicht wusste, wollte ich sie nicht auf mich aufmerksam machen. Ich versteckte mich hinter der breiten Armlehne des Sofas, auf dem meine Eltern sassen und gebannt eine Sendung anschauten. Erst jetzt wagte ich es, zum Fernseher hinzublicken.

der Würger

Dort würgte ein dunkler Mann in einer dunklen Ecke eines Zimmers eine Frau zu Tode. Die Frau rang nach Luft, röchelte hilflos und blieb bald einmal schlaff am Boden liegen.

Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Wie magisch wurden meine Augen von der Glotze angezogen. Der Anblick war so furchtbar, dass ich es kaum fassen konnte. Ich schlug die Hand vor den Mund und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass meine Eltern mich nicht gehört hatten. Der Anblick der toten Frau grub sich tief in mein Bewusstsein.

Eduard Zimmermann

Die Szene wurde ausgeblendet und das Gesicht eines ernsten Mannes mit Ratsherrenecken blickte streng aus der Röhre, als ob ich daran schuld wäre, dass die Frau jetzt tot war. Sein Gesicht und seine Stimme lösten in mir Angst aus.

Eduard Zimmermann (Quelle: ZDF)

Ratschläge

Er ermahnte die Zuschauer, was man beachten sollte, um auf keinen Fall Opfer eines Verbrechens zu werden. Was er sagte, empfand ich als Zumutung. Wir Frauen, und als solche fühlte ich mich schon damals als Kind, wir Frauen würden die Männer zu Verbrechen verleiten, wenn wir zu kurz Röcke trügen oder uns schminken würden. Nachts allein unterwegs zu sein, bedeute, dass man sich als Wild für Verbrecher darbiete.

Meine Eltern merkten nicht, dass ich heimlich mitschaute. Doch plötzlich blickte meine Mutter in meine Richtung und beendete mein Versteckspiel. Ich schluckte leer, senkte schuldbewusst den Kopf und verließ schmollend das Wohnzimmer. Warum war ich noch nicht alt genug, diese neue spannende Sendung zu sehen? Sobald die Luft rein war, würde ich wieder ins Wohnzimmer schleichen, um mehr von der Sendung sehen zu können.

ein unvergesslicher Fernsehabend

Dieser Abend blieb mir in Erinnerung. Es war 1967. Eduard Zimmermann lancierte eine der erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen. Mit dem gemütlichen Fernsehabend war es vorbei. Am Freitag, 20. Oktober, wurde im ZDF um 20 Uhr zum ersten Mal «Aktenzeichen XY ungelöst» über den Äther gesendet. Von da an schliefen die Leute schlechter als vorher.

die unheimliche Sendung

Einmal im Monat kam sie. Die unheimliche Sendung. Unfassbare Gräuel sollten von ihr ausgehen. Frauen flüsterten einander zu, dass sie «Aktenzeichen XY … ungelöst» niemals alleine schauen könnten, es sei schlicht unmöglich, sie würden sich danach nie mehr allein aus dem Haus wagen.  Eduard Zimmermann sagte in seiner Sendung, er wolle den Bildschirm für die Verbrechensbekämpfung einsetzen, das sei der Sinn seiner neuen Sendung.

wahre Verbrechen – true crime

Er liess wahre, ungelöste Verbrechensfälle von Schauspielerinnen und Schauspielern nachspielen, kein Detail ging dabei vergessen: Bilder von echten Leichen und möglichen Tätern wurden gezeigt. Das TV-Publikum wurde zur Mithilfe aufgefordert und konnte in der Sendung anrufen, für den richtigen Tipp gab es eine Belohnung.

Die meisten von uns durften die Sendung gar nicht schauen, weil wir zu jung waren. Trotzdem kennen wir die Sendung alle.

Eduard Zimmermanns Frauenbild

Bereits nach der ersten Sendung wurde ein Betrüger gefasst. Doch der Betrüger war bloß der Nebenfall. Der Hauptfall war eine Frauenleiche, die von einem rechtschaffenen Dorfbewohner im Wald gefunden wurde. Sie war jung, hübsch und extravagant gekleidet, der Prototyp des Zimmermannschen Opfers: vermutlich selbstbewusst, vermutlich auf dem Weg zu einem Vergnügen. Für Zimmermann gab es die braven Bürger mit ihren Familien, ihnen gegenüber standen die Verbrecher. Sie kamen nie aus den Familien. Gerade im Fall der Sittlichkeitsverbrechen entspricht dies jedoch nicht den kriminalstatistischen Tatsachen. Auch im Fall der ersten Toten von «Aktenzeichen XY» war der Mörder der Verlobte. Er stellte sich zwei Jahre später der Polizei.

55 Jahre

Eduard Zimmermann ging 1997, nach 30 Jahren, in Rente. Bis heute sind über 600 Folgen ausgestrahlt worden. Von 4952 vorgestellten Fällen (davon 467 aus der Schweiz) konnten 1483 gelöst werden. Seine Sendung war weltweit das erste True-Crime-Format, das es gab.

Die Sendung gibt es seit fünfundfünfzig Jahren.

In Memoriam of Schampi

Betroffen betrachtete ich das Bild auf der Frontseite des Walliser Boten vom 4. November. Ein Kämpfer für die Kultur habe die Bühne verlassen. Auf Seite elf (siehe unten) dann der Nachruf von Nathalie Benelli, der stellvertretenden Chefredaktorin. Jean-Pierre D’Alpaos sei still gegangen, er sei ein Kulturkämpfer der besonderen Art gewesen, ein «sanfter, pazifistischer Anarchist und Atheist.»

Jean-Pierre D’Alpaos war in Brig-Glis und auch über die Kantonsgrenzen hinaus eine bekannte Persönlichkeit. Er war ein Musikbegeisterter, Filmkenner und Literaturliebhaber. Jean-Pierre war sein Leben lang ein Kulturkämpfer. Seiner Ansicht nach hatte Che Guevara Heldentaten erbracht. “Nur über Kultur werden wir Frieden erreichen”, sagte er immer wieder.

Der Kulturkämpfer ist nicht mehr

Beim Lesen erwachen in mir Erinnerungen, die ich mit Jean-Pierre, «Schampi» wie ihn alle nannten, verbinde. In seinem «Plattuladu» kaufte ich so manche CD.  Durch seine Empfehlungen lernte ich manche Musikgruppe kennen. In seinem Plattuladu kaufte ich so manche CD. Er brachte so manche grosse Namen auf die Konzertbühne in Brig-Glis.

Musik, Literatur, Theater – das war sein Leben

Er engagierte sich im Kellertheater, im Filmkreis Oberwallis und vielen anderen Kultureinrichtungen. Für so manches musikalisches Talent organisierte er Auftrittsmöglichkeiten.

Interview

Am 18. Juni 2021 habe ich zuletzt mit ihm länger gesprochen. Ich hatte ihn für ein Interview angefragt. Er war bereit, sich von mir interviewen zu lassen und gab mir seine Visitenkarte, auf der ich unsern Termin notierte:

Die Karte sah toll aus. Das Bild auf der Vorderseite: Dunkler Hut, dunkler Anzug, am Hals offenes weisses Hemd. Unter dem Hut sah man nur seinen überlangen Schnauz, der die Lippen verbarg, und die Nasenspitze. Das Gesicht im Dunkeln.

Thema: Film versus Buch

Wir trafen uns im Restaurant Conti in Brig. Im Bistroteil, wo die Leute für die nächste Vorstellung im «Kino Capitol» anstehen, sassen wir uns gegenüber.

Hier fand das Interview mit Jean-Pierre am 31. Mai 2019 statt.

Ich filmte mit meinem Handy für für meinen Blog zum Thema «Was unterscheidet einen Kriminalfilm von einem Kriminalroman

Schon nach den ersten Sätzen merkte ich, wie profund sich Schampi in der Materie auskannte. Seine Antworten gebe ich ihm zu Ehren hier in einem Video noch einmal wieder.

Hier der Nachruf auf Jean-Pierre D’Alpaos im Walliser Boten:

Seite 11 im Walliser Boten vom 4. November

Evelines Reich

Eveline Imoberdorf – die Frau mit der Mähne

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte die Zeit zurückspulen, um einzelne Erinnerungen aufzufrischen. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen, um etwas noch einmal zu erleben. Wäre dies möglich, dann möchte ich einmal zurück ins Jahr 1984 reisen, zum 20. August um genau zu sein. An dem Tag bin ich Eveline Imoberdorf zum ersten Mal begegnet.

Mittelschulen

Ich lief zur Mittelschule St. Ursula in Brig hoch, meiner ersten Arbeitsstelle im Wallis, wir hatten Lehrerkonferenz. Stundenplan-Übergabe, Instruktionen, Ratschlage und dergleichen. Danach wusste ich: Ich brauchte eine Menge Schulbücher und ein Lehrerheft. Auf dem Rückweg kehrte ich im kleinen Buchladen am Wegenerplatz ein. Mir schien es naheliegend, dort meine Schulbücher einzukaufen, lag der Laden doch genau auf meinem künftigen Arbeitsweg, den ich noch tausende Mal unter die Füße nehmen würde.

Schild des Buchladens

Der Laden

Der Ladenbesitzer, ein schon etwas älterer Mann, verwies mich an seine Angestellte, eine junge Frau mit beachtlicher Lockenpracht. Damals, in den 80er Jahren ging nichts ohne das Volumenwunder Dauerwelle. Evelines Haare hatten das nicht nötig, das sah ich sofort. Dass sie ihre Haare heute noch so trägt, gehört für mich zu ihrem Markenzeichen.

Unten: Oberes Bild: Farrah Fawcett in den 80er Jahren, unteres Bild: Eveline Imoberdorf heute.

Der Laden, in dem sie ihre Lehre gemacht hatte und in dem sie danach weitergearbeitet hatte, war klein und eng. Nach Unterrichtsende drängten die jungen Leute in den Laden, um Bücher, Hefte, Ordnerblätter oder Etuis zu kaufen. Schnell fand ich heraus, wann die Schüler nicht im Laden anzutreffen waren, um dann in Ruhe einkaufen zu können.

Interwies

Verkaufsgespräch

Über die Jahre sah ich Eveline immer wieder, wenn ich etwas für die Schule kaufen wollte. Später waren wir ein Experten-Team. Wir nahmen gemeinsam Lehrabschlussprüfungen für Lernende der Verkaufslehre ab. Ich spielte die Rolle einer anspruchsvollen Kundin. In einem simulierten Verkaufsgespräch mussten die Prüflinge beweisen, was sie gelernt hatten. Praxisnah, im Lehrgeschäft. Eveline und ich reisten zu den verschiedensten Papeterie-Läden oder Buchläden mit Papeterie. Von Leukerbad, über Zermatt oder Visp, einfach dort, wo die Lernenden arbeiteten, ihre Lehre absolviert hatten.

Branchenkunde

Eveline ihrerseits stellte Fragen zur Branchenkunde. Die Lernenden mussten Einiges wissen, z.B. über die verschiedenen Arten von Papier, Kuverts, Füllfederhalter usw. Ich selber staunte immer wieder, wie detailliert die Prüflinge Bescheid wussten. Ich nahm an, dass sie das alles im Branchenkunde-Unterricht gelernt hatten.

Die Fächer Verkaufskunde und Branchenkunde, wie ich sie gekannt habe, gibt es heute nicht mehr. Die Verkaufslehre wurde reformiert. Die Abschlussprüfungen für Verkaufspersonal laufen dementsprechend heute anders ab. Eveline erklärt dies im Video.

Leiterin der Regionalbibliothek

Eveline Imoberdorf geht die Regalreihen entlang, knipst die Lampen an. Aufmerksam, bisweilen beinahe zärtlich schweift ihr Blick über die Bücher, die dicht an dicht auf den Regalen stehen. Sie ist Leiterin der Regionalbibliothek Obergoms. Seit dem Jahr 1998 führt sie die Bibliothek, die sieben Jahre zuvor aus einer Zusammenarbeit der zwölf ehemaligen Gemeinden von Oberwald bis Niederwald, sowie der Orientierungsschule Münster entstanden ist.

Bild: Pomona

Die Technologie

Immer neue Technologien stellen die Bibliothek vor Herausforderungen. Die Bibliotheken werden durch immer neue Technologien gefordert. E-Books, Apps und Google Books stellen eine ernstzunehmende Konkurrenz für Bibliotheken dar. Die Menschen richten sich zunehmend digital und visuell aus, sagt Eveline Imoberdorf. Trotzdem konnte die Regionalbibliothek Obergoms ihre Ausleihzahlen in den letzten Jahren steigern.

Die Bibliothekarin

Die Menschen hätten ein ganz klares Bild im Kopf, wenn sie an den Beruf der Bibliothekarin denken, sagt Eveline Imoberdorf. «Sie denken oft, wir sitzen den ganzen Tag am Empfang, verleihen Bücher und kassieren ab und zu eine Mahngebühr. Doch das entspricht nicht der Realität.»

Hintergrundarbeit.

Sie verbringe nur ein paar wenige Stunden in der Woche mit dem Verleih, dafür sind fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich. Eveline Imoberdorf beschäftigt sich hauptsächlich mit der Medienrecherche, also mit der Frage, welche Medien aktuell gefragt sind, mit Planungsarbeiten für Anlässe, steht im Austausch mit anderen Bibliotheken.

Tod am Krimifestival

Christine Bonvin fühlte, wie sich Müdigkeit in ihr breitmachte. Das Krimifestival konnte ihr für ein paar Minuten egal sein. Sie hatte alles getan, damit es ein Erfolg wurde.

Jetzt gönnte sie sich eine kleine Pause an einem Tisch am Rande der Terrasse des Parktheaters. Nur für einen Augenblick sagte sie sich, nur kurz die Augen schließen, um die Leser und Autoren auszublenden, die ständig mit irgendwelchen Fragen zu ihr kamen.

Sie konzentrierte sich endlich einmal wieder auf sich selber, anstatt auf die Leute, die ständig etwas von ihr wollten, hörte in sich hinein. Ihr Körper meldete sich: Nervenbahn Blase an Hirnzentrum – Blase ist voll! – Empfehle dringendst Entleerung.

Ach Gott, dachte sie, das kann noch warten. Ich ruh mich jetzt ein bisschen aus.

Sie blieb weiterhin still auf ihrem Stuhl sitzen, ihr Kaffee war längst ausgetrunken. Brosamen ihres Sandwichs auf der Tischplatte lockten ein Spatz an, der sie vorsichtig beäugte. Soll er doch, dachte sie. Sie schloss wieder die Augen.

Christine Bonvin lief rasch die Treppe hinunter zu den Toiletten im Foyer des Parktheaters. Sie konnte es sich nicht leisten, später dorthin zu gehen. Ein Vortrag über Rechtsmedizin stand auf dem Programm. Da musste sie hin. Ich nehme die erste WC-Kabine, dann verliere ich nicht zu viel Zeit, dache sie. Erschrocken hielt sie inne, als sie die Frau am Boden neben der WC-Schüssel liegen sah. Es war Ina, Autorin und wie sie Vorstandsmitglied von Krimi Schweiz. War Ina schlecht geworden, war ihr erster Gedanke. Erbrochenes sah Christine Bonvin nicht, doch ein dünnes Rinnsal Blut war aus einem runden Loch auf Inas Stirn geronnen, ein Einschussloch, ganz bestimmt. Mein Gott!, keuchte Christine Bonvin.

Ihr Puls schlug schneller. Das gibt’s doch nicht: Mord an einer Krimi-Autorin? Bei einem Krimi-Festival? Ausgerechnet! Wer war die Person, die Ina getötet hatte?

Sie rief die Nummer 144 an. Kaum war der Anruf zu Ende, stürmten ein Sanitäter und drei Polizisten in die Damentoilette. Unsicher machte Christine machte ein paar Schritte rückwärts und suchte zitternd Halt an einem der Waschbecken neben den WC-Kabinen.

«Das ging aber schnell», sagte sie erstaunt. «Es ist noch keine Minute her, dass ich Sie gerufen habe. Wie ist das möglich?»

«KI», brummte der Sanitäter.

«Aha», sagte Christine Bonvin, die wusste, was künstliche Intelligenz ist.

Der Älteste der Polizisten hatte seinen Blick langsam über die am Boden liegende Ina wandern lassen. Jetzt stand er Christine Bonvin breitbeinig gegenüber.

«Frau Bovin. Wie war Ihr Verhältnis zu der Frau?» Der Ton, in dem er dies sagte, ließ sie vermuten, dass er sie verdächtigte, ihre Autorenkollegin umgebracht zu haben.

«Wir sind … ». Sie stockte. «Wir waren gute Kolleginnen. Zusammen mit anderen haben wir das Krimifestival organisiert. Ich bin für das Administrative und die Finanzen zuständig. Sponsoren und solche Dinge.»

«Verstehe. Und was macht die Pistole in Ihrer Handtasche? Ist das eine Attrappe?»

Verwundert nickte Christine Bonvin. «Ja.» Sie holte die Pistole heraus. «Die brauche ich für meine Lesung am Nachmittag. Aber wie können Sie wissen, dass ich die dabeihabe?»

«KI», antwortete der Polizist lapidar und nahm ihr die Pistole ab.

Ihr blieb der Mund offenstehen, dann fragte sie in einem Ton, als würde sie sich über den Polizisten lustig machen: «KI? So weit sind Sie schon? Das heißt, Sie wissen schon vorher, wann und wo ein Mord passiert.»

Der Polizist nickte.

Mit einem listigen Blick fragte sie: «Und warum verhindern Sie die Morde nicht gleich, wenn Sie doch alles wissen.»

Er schwieg. Dachte, dass es eigentlich an ihm war, Fragen zu stellen und nicht an ihr. Aber so war das mit diesen verflixten Autoren. Die brauchten Stoff für ihre Krimis. Die hatten ja alle keine Ahnung, wie es wirklich läuft.

«Herr …», begann Christine Bonvin zögernd. «Sie haben sich vorher kurz vorgestellt. Wie war schon wieder Ihr Name …?»

«Stieg Larsson.» Bei diesen Worten richtete er die Pistole gegen sie. «KI weiß noch lange nicht alles. Dann wollen wir mal sehen, ob das hier wirklich eine Attrappe ist, Frau Evard. Sie heissen doch Evard, soweit ich das von KI mitbekommen habe. Und ich weiss auch, dass Sie Genusskrimis schreiben. Da passt doch eine Pistole nicht dazu. Und weil das hier eine Attrappe ist, drücke ich jetzt mal ab.»

Christine Bonvin hörte einen Knall und spürte nahezu gleichzeitig, wie dumpf etwas ihren Oberkörper traf. Das war’s dann wohl mit Krimi-Schreiben war ihr letzter Gedanke.

Doch dann öffnete sie vorsichtig die Augen, um ein letztes Mal den azurblauen Himmel anzuschauen. Blinzelte gegen das Sonnenlicht.

Christoph Gasser sah sie grinsend an, hob den Korken vom Boden auf, der sie getroffen hatte.

«Sorry, war nicht Absicht.» Er schenkte ihr Prosecco ein, dann auch in sein Glas und prostete ihr zu. «Auf den Erfolg unseres Krimifestivals»

Als er sie näher betrachtete, musste sich Christoph Gasser ein Lachen verkneifen,

«Was hast du da auf deinem Kleid?»

Auf ihrer Bluse klebte eine weißlich-gelbe Masse, die zu stinken anfing, stellte Christine Bonvin fest. Rasch wischte sie die Vogelscheiße von ihrem Kleid. Dann stand sie energisch auf, froh, den Krimiautor und Mitorganisator des Festivals vor sich zu haben und nicht den Polizisten, der sich einen Spass mit ihr erlaubt hatte, als er behauptet hatte, er sei der berühmte Krimiautor Stieg Larsson.

Diesen Kurzkrimi habe ich nach dem Krimifestival geschrieben. Und nun zu meinen Impressionen vom Festival:

Kurzlesungen und Interviews

Bei den Kurzlesungen am Vormittag habe ich aus meinem neuen Krimi «Mord hinter dem Vorhang» gelesen. Für mich war das eine Premiere. Wir Autorinnen und Autoren hatten nur 10 Minuten Zeit dafür. Ich las aus drei Schlüsselkapiteln in meinem Buch vor. Später bekam ich nicht nur Komplimente für meine Lesung, sondern auch für mein neues T-Shirt, das ich für den Anlass entworfen habe.

Im Foyer des Parkhotels in Grenchen hatte ich zwischendurch Zeit vier spannende Interviews zu führen: mit einer Leserin, mit einer Rechtsmedizinerin, die Krimis schreibt, mit der Filialleiterin von Lüthy Solothurn und einer Buchhändlern von Lüthy Solothurn, und mit einer Autorin und Mitorganisatorin des Anlasses.

Kurzlesungen, Interviews und mehr

Ein Höhepunkt des Festivals war die Verleihung des Schweizer Krimipreises. Dieser Preis würdigt aussergewöhnliche Leistungen im Bereich der Kriminalliteratur und ehrt Autoren, die mit ihren Werken neue Massstäbe setzen.

Eine Buchhändlerin packt aus

Aus und vorbei

Daniela Kämpfen, Buchhändlerin und Aussteigerin

Beinahe vierzig Jahre lang lief ich Jeden Morgen die alte Simplonstraße in der Altstadt von Brig hoch zur Berufsfachschule. Bis zu meiner Pensionierung unterrichtete ich dort KV-Lernende und Berufsmaturanden. Morgens und abends führte mein Weg am Wegenerplatz mit seinen kleinen Läden vorbei. Das Schaufenster eins Ladens musterte ich beim Vorbeigehen jeweils genau: Das der Buchhandlung & Papeterie Wegenerplatz.

Die kleine Buchhandlung

Ab 1997 führte Daniela Kämpfen dort an der alten Simplonstraße 20 während zweiundzwanzig Jahren das kleine Geschäft im grünen Haus mit dem historisch anmutenden Aushängeschild “Wegenerplatz”. Danach war Schluss. Vor dem Laden stellte sie für jeden etwas aus, Bücher, Bestseller, Flops und Must-Haves für Studierende, Hausfrauen. Im Inneren fanden sich Radiergummis, Schreibhefte, Karten und nochmals Bücher. Alles für den Alltag eines Studierenden, einer Leseratte oder eines Lyrikliebhabers und allen anderen.

gekürztes Interview
Interview in voller Länge

Tukan im Schaufenster

Daniela Kämpfen, schmückte das Schaufenster ihres Buchladens oft auf eine eher unkonventionelle Art. An eine Gestaltung ihres Schaufensters erinnere ich mich besonders. Damals stand links ein kleiner, roter Kühlschrank, in der Mitte saß ein mittelgroßer Tukan auf einem künstlichen Ast, darunter standen grüne Softgetränkflaschen mit einem Tukan auf der Etikette. Künstliche Palmwedel und all das, was ein Dschungelfeeling sonst noch so alles unterstreichen konnte, rundete das Ganze ab. Zuunterst waren sogar Papierservietten und Kissen mit Tukan-Abbildungen zu sehen. Was das alles mit Büchern zu tun hatte, war mir schleierhaft.

Passionsfruchtsaft

Auf einem A4-Blatt neben dem Kühlschrank fand ich des Rätsels Lösung, um was es bei der originellen Inszenierung ging. Lernende des örtlichen Gymnasiums Spiritus Sanctus hatten in einer Abschlussarbeit ein Unternehmen gegründet und ein neues Produkt lanciert: Den Tukan-Drink „Passoias“, auf der Basis von Passionsfruchtsaft. Daniela Kämpfen unterstützte die Schüler, stellte ihnen ihr Schaufenster zur Verfügung, um für den neuen Drink zu werben. Das Schaufenster fiel gewaltig auf, machte Lust den Laden zu betreten, um das Tukangetränk auszuprobieren.

Ich habe damals eine Flasche gekauft und den Drink noch im Laden ex getrunken, es schmeckte wunderbar. Die Flaschen, die ich nach Hause nahm, waren schnell ausgetrunken.

Ob die jungen Leute Erfolg mit ihrem Drink hatten, ob es ihr Unternehmen noch gibt, weiß ich nicht.

Ein sicheres Geschäft

Erfolg hatte Daniela Kämpfen mit ihrem Laden während vielen Jahren. Zweiundzwanzig Jahre lang führt sie die Buchhandlung. Die Kundschaft, Lernende und Lehrkräfte, lief tagtäglich auf dem Weg zu drei Schulen an ihrem Laden vorbei. Ihr Ziel war entweder das Gymnasium, die Berufsfachschule oder die Mittelschule der Klosterfrauen. In Kämpfens Laden kauften die Lernenden ihre Schulbücher, -hefte und was man sonst noch im Unterricht so brauchte. Die Lehrpersonen ihrerseits bestellten Klassensätze von Lehrbüchern und ließen sie sich in die Schulen liefern. Ein sicheres Geschäft. Zu Beginn des Schuljahres gab‘s am Meisten zu tun. Doch das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert.

(Bildquelle canal 9)

Die Schulwelt veränderte sich. Mehr und mehr verzichteten Schulen auf gedruckte Lehrbücher, wechselten zu digitalen Lerninhalten. Abgelegt wurden die Arbeitsunterlagen immer weniger in Ordnern.

Zu wenig zum Leben

In den letzten Jahren, in denen ich unterrichtete, führten wir an der Schule Google Classroom ein, eine Internetplattform, bei der Hausaufgaben, Gruppenarbeiten usw. Papierlos bearbeitet werden. Solche und ähnliche Entwicklungen war der Anfang vom Ende des kleinen Ladens am Wegenerplatz. Gegenüber dem Lokalradio rro sagte sie: „Es hat in den ganzen Jahren immer wieder Einbrüche gegeben, wo es auch für mich knapp wurde.” Kleine Läden hätten in der heutigen Zeit des Onlinehandels und der Großverteiler Mühe. Jahrein, jahraus wussten Schüler, dass es an der Ecke im kleinen Bücherladen die Bücher zu kaufen gab, die man brauchte.

Die Situation im Gewerbe sieht für Daniela Kämpfen auch in Zukunft nicht gut aus: “Als Detailhändler, der davon leben muss, wird es schwierig. Das merke ich schon seit Jahren.” Sie mache am Samstag gar nicht auf, da es keine Laufkundschaft gebe, erklärt Kämpfen weiter.

Die Schließung

Die Entwicklung nahm ihren Lauf. Das kleine Geschäft von Daniela Kämpfen brachte ihr nicht mehr genügend ein, dass sie davon hätte leben zu können. Sie musste die Buchhandlung & Papeterie Wegenerplatz nach zwanzig Jahren schließen. Daniela Kämpfen schlug danach neue Wege ein. Sie wanderte aus, aber wo wohin und zu welchem Zweck?

Hör dir die Geschichte von Daniela Kämpfen im Video-Interview an. Du hast die Wahl zwischen einer Kurzversion und einer Version des ganzen Interviews.

Mein neuer Krimi – Mord hinter dem Vorhang

Es ist stets ein besonderes Ereignis, wenn ich das erste gedruckte Exemplar in den Händen halte. Voller Neugier betrachte ich dann das Cover, blättere durch die Seiten, spüre das Gewicht der Worte, die ich in monatelanger Arbeit zu Papier gebracht habe: Mein Werk! Ich freue mich und bin stolz, dass ich das geschafft habe.

Nach dem Auspacken der Belegexemplare des Verlags fängt für mich eine andere Art von Arbeit an. Mein Verlag in Deutschland, der Karin Fischer Verlag, ist klein, in der Schweiz nahezu unbekannt. Da muss ich mich selber ins Zeug legen, damit Leserinnen und Leser von meinem neuen Buch erfahren.  

Die Buchtaufe

Schon vor Monaten habe ich den Termin für die Buchtaufe organisiert. Sie wird in der ZAP Brig über die Bühne gehen. Am 5. Oktober um 19.30 Uhr geht’s los. Es wird keine gängige Lesung sein. Aus dem neuen Krimi lesen, das tue ich schon. Aber Figuren, Schauplätze und Handlung stelle ich in selbst produzierten Videos vor. Begleitet wird der Anlass durch Musik von Tony und Sämy von der band-remember.  

Wenn das Buch erschienen ist, gilt es die Leute über meinen neuen Krimi zu informieren.

Zeitungsartikel

Ein Zeitungsartikel muss her. Deshalb fahre ich nach Visp zu unserer Lokalzeitung, dem Walliser Boten. Nathalie Benelli, die stellvertretende Chefredaktorin, empfängt mich zu einem Interview.

Ich habe mich vorbereitet. In meiner Tasche steckt eine Frageliste mit meinen Antworten. Doch ich brauche sie nicht, denn Frau Benelli stellt mir Fragen, die ich – bis auf eine – nicht erwartet habe. Das Gespräch ist allzu schnell zu Ende. Sie interviewt mich am Schluss noch für einen Kurzbeitrag auf rro, radio rottu oberwallis. Und schon muss sie wieder an ihre Arbeit in der Redaktion.  

Den Artikel vorlesen lassen. Laufzeit: 05:35 (Quelle: pomona)

https://brigitta-winkelried.com/wp-content/uploads/2023/08/stories_257336_textToSpeech_de.mp3

Literatur Blog

Kurt Schnidrig ist für den rro Literaturblog verantwortlich. Ihn treffe ich zweieinhalb Wochen später im Schlossgarten für ein Interview. Er hat bereits vier Seiten für seinen Blog über meinen Krimi geschrieben und übergibt sie mir. Theorie über Kriminalromane, die ich in meinem Krimi „Mord hinter dem Vorhang“ angewendet habe, trifft auf Details in meinem Werk. Schnidrig ist ein Literaturkenner – ohne Zweifel in jeder Sparte, auch im Krimi-Genre! Wir diskutieren, was wir aus den Seiten für den Literatur-Blog fürs rro-Radio-Interview herausnehmen wollen.

Er schießt ein paar Fotos – auf seinen Wunsch – dort, wo der Krimi spielt, an Originalschauplätzen.

Ich will auch ein Foto, auf dem wir beide drauf sind. Unsere Stimmung ist locker, kollegial. Wir kennen uns von früher. Das war Mitte der 80er Jahre, als ich meine ersten Unterrichtsjahre im Institut St. Ursula erlebte.

Höre dazu den Podcast aus der Sendung Literaturwälla von Radio Rottu Oberwallis. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Joel Bieler)

https://brigitta-winkelried.com/wp-content/uploads/2023/08/Podcast-Brigitta-Winkelried.mp3

Nebst Zeitungsartikel und Radiobeiträgen komme ich um Social Media Posts nicht herum. Ein Bild des Covers auf Facebook, Instagram, LinkedIn, WhatsApp mit etwas Text genügt das?

Video für Social Media

Oder wäre ein kurzes Video nicht besser? Ein Video, in dem ich erkläre, um was es im Krimi geht? Das ist bestimmt informativer als ein simples Cover.

Nur gut, dass ich schon etwas Übung darin habe, mich selber zu filmen. Nicht dass ich besonders fotogen wäre. Nein, nein, das nicht. Aber es wirkt authentischer, wenn man selber im Video zu sehen ist. Ich rede frei ohne abzulesen, denn ich weiss im voraus, was ich sagen möchte. Einen Teleprompter habe ich nicht. Einen Versprecher schneide ich nachher auf dem Handy heraus. Am Computer erfährt das Video „den letzten Schliff“.

Brigitta’s Sommerkrimi

Sun, Run and something to win

Endlich durfte ich wieder laufen. Vergessen war der Unfall der vergangenen Woche, bei dem ich auf der Badematte ausgerutscht war. Meine Beine flogen nur so dahin. Es war ein Vergnügen, wieder so schnell laufen zu können, wie es meine Puste gerade noch zuließ.

Laufstrecke am Yachthafen

Entlang meiner derzeitigen Laufstrecke rund um den Hafen von Porto Rotondo, wo die teuren Yachten vor Anker lagen, gab es normalerweise viel zu sehen, nur jetzt noch nicht. Kaum jemand liess sich zu so früher Stunde auf den Decks der Yachten blicken, doch das würde sich bald ändern.

Einzig ein muskulöser Mann in T-Shirt und Shorts spritzte barfüßig mit einem Schlauch in der Hand eine kleinere Yacht ab. Vermutlich ein Mietobjekt, zu mieten für ein paar hundert Euro pro Tag. Der Angestellte des Yachtvermieters beachtete mich nicht. Er war zu beschäftigt, um mir nachzuschauen. Seine Putzarbeit hinderte ihn allerdings nicht daran, gleichzeitig ein wortreiches Gespräch mit seinem Handy zu führen. Die Sarden waren – wie alle Italiener – telefonino-süchtig.

Der Kurzkrimis vorgelesen von der Autorin / mit Fotos

Traum-Yacht

Ich lief kopfschüttelnd weiter. Gleich würde ich den Yacht-Club erreichen und weiter hinten bei den größeren Schiffen vorbeilaufen. Vorher aber näherte ich mich der luxuriösen Yacht ‚Freedom‘, die von Roberto Cavalli entworfen worden war. Welch ein Traum von einer Yacht, falls man eine Vorliebe für Schwarz hatte. Jedes noch so kleine Detail fügte sich zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk. Die Yacht war wie eines seiner Kleider, das er entworfen hatte: einzigartig und perfekt. Auf dem Kai, an dem die Yacht vor Anker lag, lief ich gewöhnlich langsamer, um beim Vorbeilaufen die Yacht zu betrachten.

Plötzlich tat sich etwas auf der ‚Freedom’-Yacht, die schwarz-silberne Plexiglastür beim Eingang glitt zur Seite und eine Frau mit aufgesteckten, blonden Haaren erschien in einem hautengen, gerafften Kleid mit Jaguar-Print. Zu schnell schloss sich die Tür hinter ihr wieder, als dass ich im Vorbeilaufen einen Blick ins Innere der ‚Freedom’ hätte werfen können. Die Frau war es anscheinend gewohnt, alle Blicke auf sich gerichtet zu sehen. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung sah ich sie beim Vorbeilaufen an, achtete nur noch auf sie anstatt auf den Boden mit den unebenen Pflastersteinen am Kai vor der Yacht, über den ich lief.

Der Unfall

Im nächsten Augenblick blieb ich mit meinem rechten Joggingschuh an etwas auf dem Boden hängen, stolperte und fiel hin. Meine Knie, meine Handgelenke schrammten über die harten Pflastersteine. Vor Wut stiess ich aus voller Kehle einen gequälten Schrei aus. Benommen blieb ich am Boden liegen, drehte mich nach einer Weile zur Seite und betrachtete meine Wunden an Knien und Händen, die alsbald wie Feuer brannten. So ein Mist! Meine Beine und Arme zitterten. Ob wegen des Schocks oder vor Schmerzen, wusste ich nicht. Ich versuchte aufzustehen, ohne mich mit Händen oder Knien abzustützen. Es gelang mir nicht.

Vom nahen Restaurant her eilte eine stämmige Frau mit umgebundener schwarzer Schürze auf mich zu, eine weiße Stoffserviette in der Hand, die mit etwas gefüllt zu sein schien. Sie half mir aufzustehen, gab mir die Serviette, die sie mit Eiswürfeln gefüllt hatte und bedeutete mir, das Eis sei für meine Verletzungen, damit sie nicht anschwellen würden.

Ich nickte dankend. Noch benommen vom Sturz spürte ich, wie die Schmerzen jetzt so richtig einsetzten. Die Schürfungen an Handgelenken und Knien bluteten. Abwechselnd hielt ich den Serviettenbeutel an die Schrammen. Davon färbte sich die Serviette an immer mehr Stellen rot. Ich war der Frau dankbar für ihre Hilfe, doch das Bündel Eis in der Serviette verursachte auf meinen Wunden nur noch mehr Schmerzen, so dass ich gerne auf das Eis verzichtet hätte. Ihr zuliebe behielt ich die Eisbehandlung bei. Bis ich es nicht mehr aushielt, umständlich mit einer Hand das Taschentuch aus einem der Fächer in meinem Laufgürtel herauszupfte und damit sachte das Blut von meinen Wunden tupfte.

«Grazie» sagte ich zu der Frau, die zufrieden ob ihrem gelungenen Samariter-Dienst zurück zu ihrem Restaurant auf der anderen Seite des Kais zulief.

Antonella Leopardi

Ich warf einen letzten Blick auf die elegante Frau an Deck der Cavalli-Yacht, sie schien sich seit meinem Sturz nicht von der Stelle gerührt zu haben und hatte meinen Unfall bestimmt beobachtet. Mit einem Handzeichen bedeutete sie mir zu ihr auf die Yacht zu kommen. Die Gangway fuhr bis zum schwarzen Teppich vor der Yacht am Kai aus. Mir war noch etwas schwindlig vom Sturz, skeptisch sah ich links und rechts neben der Gangway hinunter ins Meerwasser, während ich auf unsicheren Beinen langsam auf die Frau zuging. Als ich ihr Gesicht aus der Nähe sah, wusste ich sofort, wer sie war: Antonella Leopardi, die italienische Modeschöpferin. Auf einmal schämte ich mich meiner billigen Jogging-Klamotten, die ich schon seit vielen Jahren trug.

Sie erkundigte sich nicht danach, wie ich mich nach dem Sturz fühlte. Das machte mich stutzig. Hatte sie mich nicht deshalb zu sich gebeten, um mich zu verarzten? Dass das nicht der Fall war, wurde mir rasch klar. Enttäuscht erklärte ich ihr, dass irgendetwas vor ihrer Yacht am Pier meinen Sturz verursacht hatte und sie womöglich für meinen Sturz haftbar sein könnte. Denn das, was mich zu Fall gebracht hatte, sei die letzten Tage bestimmt nicht da gewesen, und ich würde die Anlagestelle ihrer Yacht noch genauer untersuchen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Meine Italienischkenntnisse reichten aus, um ihr das alles zu erklären.

Sie setzte ein nichts-sagendes Lächeln auf. Mit ihren bald siebzig Jahren war sie immer noch sehr beeindruckend, nicht schlank, eher schon mager, ja sogar ausgemergelt, aber aufrecht, mit einer königlichen Haltung. Das Gesicht gestrafft, die Lippen vom Botox Spritzen unnatürlich groß.

«Kommen Sie mit», sagte Antonella mit einer überraschend rauchigen Stimme.

Verblüfft sah ich sie an. Die Plexiglastür beim Eingang der Yacht glitt wieder geräuschlos zur Seite. Der Aufenthaltsraum dahinter bot allen Luxus, den man sich vorstellen konnte. Polstermöbel aus cremeweißem Leder, viel Chrome, hinten eine reichbestückte Bar mit Barhockern. Ich blieb stehen, um alles ausführlich zu betrachten, damit ich diesen Anblick nie wieder vergessen würde. Das Gefühl von Unsicherheit in dieser für mich fremden Luxuswelt wich allmählich und ich wandte mich wieder ihr zu.

Das Versteck

Sie kniete neben den Salontisch aus weißem Marmor und drückte auf etwas unter der Tischplatte. Ein rechteckiges Stück des Parkettbodens in der Grösse eines eReaders öffnete sich nahezu geräuschlos und gab den Blick frei auf eine Nummerntastatur. Ein Versteck? Antonella tippte auf sechs verschiedene Nummern, ein Türchen klappte hoch, sie zog ein schwarzes Stoffsäckchen mit einem aufgestickten V heraus, legte es neben sich auf den Fußboden, drückte das Türchen und danach die Bodenplatte nach unten, die augenblicklich einschnappten. Das Versteck war wieder verschlossen. Sie warf einen letzten Blick darauf. Selbst wenn man nach Auffälligkeiten im verschlungenen Parkettmuster suchen würde, hätte man kaum ahnen können, dass sich hier etwas unter dem Boden verbarg.

Langsam erhob sie sich wieder, bemüht, sich die Steifheit ihres gealterten Körpers nicht anmerken zu lassen. Eine Weile sagte sie nichts und musterte mich nur stumm. Dann gab sie sich einen Ruck und öffnete die Kordel des Stoffsäckchens, glitt mit einer Hand hinein, nahm etwas heraus und drückte es mir in die Hand.

Stumm vor Staunen besah ich das Häuflein auf meiner Handfläche. Im gedimmten Schein der Deckenbeleuchtung lagen grüne Steine, so grün wie das Meerwasser an den schönsten Stränden der Costa Smeralda, manche waren mehr als erbsengroß. Sie sahen roh und unbearbeitet aus. Selbst kitschiger, unechter Schmuck im nächstgelegenen Souvenirladen in den Geschäften an der Piazzetta San Marco funkelten mehr.

«Smeraldo»

Ich nickte eifrig. «Si, siamo in costa smeralda»

Sie schüttelte den Kopf.

Die Smaragde

«Ich meine nicht die Küste Nord-Sardiniens. Ich meine die Edelsteine auf Ihrer Hand. Es sind Smaragde. In diesem Säckchen hat es noch mehr. Die Dinger sind echt. Sie sind ein Vermögen wert.»

«Capito. Und warum zeigen Sie mir die Steine?»

«In diesem Säckchen sind Smaragde im Wert von sieben Millionen Euro. Es sind Prachtexemplare. Wenn sie einmal geschliffen und poliert sind, werden sie lupenrein sein.» Ihre Augen funkelten vor Leidenschaft.

«Wow!» Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Meine Hand, auf der die paar Edelsteine lagen, fühlte sich auf einmal an, als würde sie glühen. Rasch gab ich ihr die Smaragde zurück, bevor ich mir die Hand verbrannte. «Warum zeigen Sie mir diese Steine?»

«Sie sind die einzige Person, der ich im Moment traue. Sie müssen mir helfen.»

Verwirrt, aber auch gespannt, sah ich auf ihre aufgespritzten Lippen, dann in ihre dick von Schminke umrandeten Augen. «Sie kennen mich doch gar nicht. Und wie könnte ich Ihnen überhaupt helfen?» Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Frau wie sie, die über ein Milliardenvermögen verfügte, meine Hilfe brauchen könnte. Und noch viel weniger, konnte ich mir vorstellen, was die Edelsteine damit zu tun haben könnten.

Antonella deutete auf meinen Laufgürtel, den ich fürs Joggen immer um die Hüften trug, um Geld, Handy, eine Trinkflasche und ein Taschentuch mitnehmen zu können. «Öffnen Sie den Reißverschluss des größeren Faches an ihrem Gürtel.»

Ich tat, wie sie verlangte und sah sie fragend an.

Der Deal

Rasch warf sie einen schnellen Blick ans hintere Ende des Raumes, doch außer ihr und mir war niemand da. Danach schob sie das Stoffsäckchen mit den Smaragden in das jetzt offene Fach an meinem Laufgürtel, schloss den Reißverschluss wieder und trat abrupt zurück. «Übergeben Sie das Säckchen dem Oberkellner Antonio Rinaldi in Ihrem Hotel.»

«Woher wissen Sie, in welchem Hotel ich wohne?» Es gab wohl nicht viele Hotels im kleinen Ort Porto Rotondo mit einem Oberkellner, der Antonio Rinaldi hieß.

Sie schnaubte leicht und lachte verächtlich. «Ich weiß alles über Sie, Sie kleine Schweizer Autorin, oder soll ich sagen, ich weiß so viel über Sie, wie ich brauche, um das hier organisieren zu können.» Sie deutete auf die Edelsteine, die jetzt in meinem Laufgürtel steckten.

«Wie konnten Sie wissen, dass ich hier vor Ihrer Yacht vorbeilaufen würde? Und außerdem, wie konnten Sie wissen, wie Sie mit mir in Kontakt treten könnten?» Während ich dies sagte, wurde mir bewusst, dass ich bis anhin noch nie beim Joggen gestürzt war. Hatte Sie meinen Sturz arrangiert, um mich auf ihre Yacht zu lotsen? Das war doch absurd.

Sie verzog keine Miene. «Ich habe Sie beobachtet. Von meiner Hotelsuite aus kann ich alles sehen, was am Strand unten geschieht. Sie sind mir aufgefallen.»

Mehr brauchte sie nicht zu sagen, denn ich erinnerte mich wieder, wo die Imperial Suite lag, die sie während der ganzen Saison im Hotel mietete. Der Strandwächter hatte mir gezeigt, wo ihre Suite lag. Auf meine Frage hin, ob die Frau, die ich jeden Tag beim Baden am Strand beobachtete, Antonella Leopardi sei, verneinte er. Er beteuerte, dass die Frau zwar ähnlich aussähe wie Antonella Leopardi, in Wahrheit jedoch eine ganz andere Frau sei. Ich hatte gleich gewusst, dass er log. Welche Berühmtheit würde sonst als Gast in einem Hotel logieren, wenn jeder X-beliebige sie stören könnte, weil die Hotelangestellten nicht den Mund halten konnten.

Das Ansinnen Antonellas schien mir einfach zu bewerkstelligen, machte meiner Ansicht nach aber überhaupt keinen Sinn. «Ich soll die Smaragde nur übergeben, sonst nichts?»

Der Oberkellner

Sie richtete sich zu voller Größe auf. «Wie ich schon sagte. Übergeben Sie Antonio die Smaragde, heute nach dem Abendessen.»

«Weiß er Bescheid?»

«Ja.»

«Wie können Sie sicher sein, dass ich die Smaragde nicht für mich behalte und verkaufe?»

«Sieben Millionen sind für viele Menschen ein Vermögen, ein unerhörtes Kapital, für viele andere wie mich dagegen sind sie eine vergleichsweise unbedeutende Summe. Im Moment brauche ich nur ein sicheres Versteck für die Smaragde. Und das verschaffen Sie mir, wenn Sie sie heute Abend diskret Antonio übergeben. Diskret. Versteht sich natürlich.»

Der smarte Oberkellner schien mir alles andere als sauber zu sein. Hatte er nicht kürzlich mein Trinkgeld für sich behalten, obwohl ich es ihm gegeben hatte, damit er es an die sieben Kellner verteile? Seitdem ging mir Antonios schmierige, herablassende Art zunehmend auf die Nerven. Und ihm sollte ich die Dinger übergeben, die sieben Millionen Wert waren? Das Gefühl, dass mehr hinter der Sache steckte, ließ mich nicht los. «So wie ich Herrn Antonio einschätze, wird er die Steine für sich behalten, ja, ich denke sogar, er wird damit abhauen. So viel hat er als Kellner sein ganzes Leben lang nie verdient.»

«Oh, nein. Das wird er nicht tun. Ich weiß es. Er tut, was ich ihm sage. Nur einmal hat er das nicht getan, als … » Sie verstummte.

«Ich bin Krimiautorin. Ich kenne mich mit Verbrechen aus. Vermutlich hat er etwas gegen Sie in der Hand, das für Sie viel wertvoller ist als diese Edelsteine. Etwas, das Ihnen gefährlich werden könnte.»

«Leider ja», entfuhr es ihr verblüfft. «Hören Sie zu … »

Im Hotelzimmer

Zurück in meinem Hotelzimmer duschte ich und versorgte danach meine wegen des Duschwassers und der Seife wieder brennenden Wunden mit dem Material aus meiner Reiseapotheke. Sie enthielt sogar eine kleine Schere. Wie ich da mit der Mini-Schere ein Stück von der Mullbinde aus der Mini-Apotheke abschnitt, um die sterile Wundauflage an meinem rechten Handgelenk zu fixieren, machte sich ein Gedanke in mir breit, der mir zuerst absurd erschien, der mich dennoch den ganzen Nachmittag nicht mehr losließ.

Antonella hatte mir nicht erklärte, wie sie in den Besitz der Smaragde gekommen war. Die Sache schien mir mehr als dubios. Sollte ich im Austausch gegen ein Versace-Kleid tun, was sie von mir verlangte oder eher das, was ich für richtig hielt? Den Ausschlag gab mir die Gewissheit, dass Antonio ein Gauner war und sich keinen Deut um die Folgen kümmern würde, wenn etwas schief ging. Möglich, dass man mich dann für die Schuldige halten würde.

Ich entschied mich zu handeln und schüttete vorsichtig die Smaragde aus dem schwarzen Stoffsäckchen auf ein Kleenex-Tüchlein. Staunend betrachtete ich das Häuflein. Ein Sonnenstrahl fiel durch die Tür der Zimmer-Veranda und erweckte die Steine zum Leben. Mein Atem stockte kurz. Welch ein funkelndes Vermögen!

Schnell lief ich ins Badezimmer, holte mein Beauty Case, entnahm ihm ein Fläschchen durchsichtigen Nagellacks, ein Briefchen Nähzeug, das ich vor Jahren aus dem Grand Hotel in Hurghada mitgenommen hatte und auf Reisen immer mitführte, und eine volle Packung Hustenbonbons. Aus dem Schrank holte ich den Büstenhalter, den ich am Abend und auf meiner Rückreise tragen wollte, und ging an die Arbeit.

Am Morgen danach

Am nächsten Morgen um sechs Uhr früh fuhr das Taxi für den Transfer zum Flughafen beim Hoteleingang vor. Ich setzte mich auf den Rücksitz. Der Fahrer fuhr los bis zum grün angestrichenen Hotel Tor, hielt an und wartete darauf, dass es sich öffnete. Mein Puls schlug schneller, als ich einen Blick zurück zum Hoteleingang warf, wo in diesem Moment ein wild gestikulierender Mann im schwarzen Anzug zu sehen war, der sich anschickte, das Taxi einzuholen.

Endlich ging das Tor auf, der Taxifahrer fuhr langsam hindurch, beschleunigte danach und ließ das Hotelareal rasch hinter uns immer kleiner werden. Noch mal Glück gehabt, dachte ich, fuhr mit den Fingern über die beiden Körbchen meines BHs, des teuersten, den ich je besitzen würde, und spürte die Edelsteine die ich dort eingenäht hatte.

Zufrieden setzte ich mich aufrechter hin und entnahm einem Fach in meinem Laufgürtel den USB-Stick, den Antonio mir am Abend zuvor im Austausch gegen das schwarze Säckchen mit dem aufgestickten V gegeben hatte, in dem ich die vom Lack glänzenden, grünen Hustenbonbons anstelle der Smaragde gesteckt hatte.

Auf dem Stick prangten die Buchstaben C und S, darob zwei gespannte blaue Segel oder was es sonst darstellen sollte.

Italienisches Schwarzgeld auf einer Schweizer Bank!

War es ein Zufall, dass gerade jetzt, wo die Grossbank UBS die Kunden der von ihr übernommenen CS überprüfte, ein Stick mit Antonella Leopardis Nummernkonto für eine Weile beim Oberkellner versteckt gewesen war? Nur gut, dass ich den Zugangscode herausgefunden hatte, Antonio aber nicht. Mit den Smaragden hatte ich mir ein Vermögen angeeignet und mit dem Stick Zugriff auf ein weit grösseres, das auf Antonellas Nummernkonto bei der CS schlummerte.

Vorlesetag 2023

Schweizer Vorlesetag

Am 24. Mai wird in der ganzen Schweiz vorgelesen – zum sechsten Mal – an vielen Orten und in vielen unterschiedlichen Sprachen. Alle, die Freude am Vorlesen haben, sind eingeladen, Kindern und Jugendlichen vorzulesen und mit einer eigenen Vorleseaktion Lesefreude zu wecken, zu Hause, in der Schule, in der Bibliothek oder sonst wo.

An meinem Wohnort Brig wird zwischen 13.30 Uhr und 16.00 Uhr vorgelesen. In der Mediathek an der Schlossstrasse 30 liest ein Polizist, eine Politikerin, eine Märchenerzählerin und viele andere vor. Für 3- bis 10-Jährige. 

Wallis für Anfänger

Da alle, die Freude am Vorlesen haben, eingeladen sind, mitzumachen, bin ich auch dabei. Meine Vorlese-Zielgruppe ist aber eine ganz andere.

Du gehörst dazu: erwachsen, gebildet, offen für Neues, mit einem breiten Interessenspektrum. Ich mache mit und lese Auszüge aus dem Buch «Das Wallis für Anfänger» von Claudia Schnieper, Mythen, Klischees und sanfte Irritationen – eine Entdeckungsreise.

eine Entdeckungsreise

Das Vorlesen öffnet die Tür in die Welt der Literatur, der Fantasie, der Entdeckung neuen Wissens. Ich nehme dich mit auf eine Entdeckungsreise in meine Heimat, ins Wallis, genauer gesagt ins Oberwallis, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Wir schauen dabei in die Vergangenheit und Gegenwart dieses rauen Landstriches im Süden der Schweiz.

wie ich lesen lernte

Zuerst aber erzähle ich dir, wie ich zum Lesen kam. Meine Mutter brachte es mir mit sechs Jahren bei, bevor ich zur Schule ging; einen Kindergarten in unserem kleinen Bergdorf gab es damals nicht. Mit einem alten Lesebuch, das schon ziemlich lädiert aussah, lernte sie mich lesen. Der erste Buchstabe, den ich lernte, war N und das erste Worte auf der ersten Seite das Wort Nuss. Ich sehe das Bild der Nüsse dazu noch heute vor mir.

die erste Bibliothek

Sobald ich Lesen konnte, fing ich an, alles zu lesen, was ich in die Finger kriegen konnte. An unserem damaligen Wohnort wurde eine kleine Bibliothek eröffnet. Ich war begeistert. Bald war ich dort Stammkundin. Die Bibliothekarin legte mit der Zeit Bücher für mich beiseite, die ich in meinem Alter noch nicht hätte lesen dürfen. Mir öffneten sich ungeahnte Welten, die ich ohne Lektüre nie entdeckt hätte.

Ich war überzeugt, alles, was man gelesen hat, formt den Geist, die eigene Bildung, das Wissen. Ich bin noch heute froh, dass ich zur Leseratte wurde. Keine Ahnung, wie viele Bücher es bis heute waren, die ich gelesen habe. Wahrscheinlich würden sie eine Dorfbibliothek füllen.

Diese unzähligen von mir gelesenen Bücher in meinem Kopf, sie haben mir geholfen, Krimis zu schreiben. Meine Fantasie und Kreativität taten das ihre dazu bei, dass ich Geschichten auf Papier bringen konnte, das heisst über die Tastatur auf meinem Schreibtisch natürlich. Ich bin zur Schreibtischtäterin geworden, begehe Morde, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Oder wenn, dann nur von Leserinnen und Lesern.

Was ist der Schweizer Vorlesetag?

Initiiert ist der Schweizer Vorlesetag vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM in Kooperation mit 20 Minuten sowie weiteren Partnerorganisationen. Denn Vorlesen ist die einfachste und wirksamste Form der Leseförderung. Kinder, denen täglich vorgelesen wird, verfügen über einen grösseren Wortschatz und lernen leichter lesen und schreiben als Gleichaltrige ohne Vorleseerfahrung. Sie entwickeln einen positiven Bezug zum Lesen und greifen später mit mehr Freude zu Büchern, Zeitungen oder E-Books und haben somit auch bessere Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsweg.

Bloggerin & visuelle Autorin

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