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Wer liest was und von wem?

Jedes Jahr erscheinen 100’000 Bücher auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Auf welchen verschlungenen Pfaden kommen die Bücher zu dir, liebe Leserin, lieber Leser? Was braucht es, damit du ein Buch im Laden kaufen kannst?

Etwas schon mal vorweg: Es braucht viel, sehr viel, bis ein Buch gekauft werden kann, sei es in einem Buchladen oder im Online-Shop.

Interviews, Fakten und Zahlen zur Welt der Bücher

[Eine Frau, die ich interviewt habe, liest vor allem am Swimmingpool. Sie sagt aber nicht, wo denn dieser ist. Ich verrate es hier: Im Sommer betreibt sie mit einer Kollegin zusammen ein Bed & Breakfeast im Piemont. (piazza31) und hat dort Zeit zum Lesen, wenn die Gäste Ausflüge machen.]

Das Manuskript ist fertig – was nun?

Fangen wir mal bei der Autorin, dem Autor an. Nehmen wir an, eine Autorin hat ihr Manuskript fertig überarbeitet. Sie schickt es einem Verlag. Vielleicht weiss sie nicht, dass die Verlage – vor allem die grossen Publikumsverlage – von unverlangten Manuskripten überschwemmt werden. Nur 0,0002 % der unverlangt eingesandten Manuskripte werden von einem Verlag angenommen und publiziert. Das hat mit der grossen Anzahl an Autoren und der abnehmenden Zahl an Leserinnen und Lesern zu tun. Immer mehr Freizeitangebote konkurrenzieren die Lesefreudigkeit. An Schulen wird zudem weniger gelesen.

Verlage

Die Publikumsverlage haben die grossen Autoren unter Vertrag. Das garantiert Umsatz. Verlage müssen rentieren, sind aber eher gering profitabel. Sie können sich Flops nicht leisten.

Die Penguin Random House Verlagsgruppe zum Beispiel ist das grösste Verlagshaus und umfasst 40 Verlage. Einer davon, der Blanvalet Verlag, gibt zum Beispiel den Krimi der Schweizer Krimiautorin Christine Brand heraus.

Lektorat

Nehmen wir an, unsere Autorin hat Glück und bekommt einen Verlagsvertrag.  Der Lektor des Verlags nimmt die Geschichte der Autorin auseinander. Das Manuskript büsst einen Drittel seines Inhalts ein. Das heisst, unsere Autorin hat gegen hundert Seiten umsonst geschrieben. Doch sie ist froh, dass ihr Buch bei einem renommierten Verlag erscheint.

Jetzt braucht das Buch ein Cover. Der Buchsatz muss erstellt werden. Ein letztes Mal liest die Autorin die Druckfahnen ihres Werkes intensiv durch. Sind noch Fehler enthalten, die dem Lektorat entgangen sind? Danach kann das Buch gedruckt werden. Bereits sind mehrere Monate verstrichen.

Zwischenhandel

Das Buch wird bald den Buchhändlern vorgestellt und in die Buchläden gebracht werden. Doch bis es in den Regalen und Auslagen der Buchläden steht, braucht es Dienstleister für die Verlagsauslieferung. Bei über 90 % der Bücher kommt jetzt der Zwischenhandel ins Spiel. In der Schweiz zeichnet sich das Buchzentrum dafür verantwortlich. Es ist eine Genossenschaft aller Buchhandlungen in der Schweiz. Wenn das Buchzentrum das Buch an Lager nimmt, ist es automatisch in allen Online-Shops gelistet, auch beim Buchzwischenhändler libri in Deutschland.

eBook

7 bis 8 % der verkauften Bücher sind eBooks. Doch das Buch stirbt nicht aus. Kinobesuche und Bücher sind schon oft totgesagt worden und doch gibt es sie immer noch. Das eBook hat die grossen Erwartungen, die es einst auslöste, nicht erfüllt.

Cross-Channel

Es gibt auch Mischformen zwischen stationärem und Online Handel. Kunden können zum Beispiel im Online-Shop eines Buchhändlers das bestellte Buch im Laden abholen. Wenn einem das Buch nicht gefällt, muss man es nicht kaufen. Das ist attraktiver für die Leser als das Buch per Post zurückzuschicken.

Zahlen

2022 erzielte der Deutschschweizer Buchmarkt einen Gesamtumsatz von CHF 575 Mio. Das entspricht einem Rückgang von 1,9 % gegenüber dem Vorjahr. Zirka ein Viertel der Bevölkerung liest häufig, also 13 und mehr Bücher pro Jahr. 60 % sind Frauen, 40 % Männer. Der Durchschnittspreis eines Buches betrug 2022 CHF 22.-, ein Jahr zuvor waren es CHF 21.-.

Buchmarkt-Daten von GfK Entertainment, SBVV Zürich, Februar 2023

Kriminalromane

Krimis sind wie Aperol Spritz für die Wirte: Hohe Marge – mehr Umsatz. Die Nachfrage nach Krimis ist ungebrochen. Nach Ratgeber-Bücher und anderen Romanen stehen Krimis schon an dritter Stelle.

Gratisbuch

kein Märchen

Überraschung zum Frühstück

Am morgen früh lese ich gewöhnlich die Lokalzeitung Walliser Bote auf dem iPad. Bei einem Artikel auf Seite fünf unten stutzte ich vor ein paar Tagen. Noch nie habe ich etwas ähnliches gelesen: «Walliser dürfen dreimal pro Woche gratis ins Kino» stand da als Titel zu lesen. Ich nahm sofort einen großen Schluck Kaffee und dachte, dass ich schon lange nicht mehr im Kino war. Würde ich jetzt hingehen, wenn es von Dienstag bis Donnerstag gratis war? Wohl kaum, denn für mich ist es wichtiger, dass mir die Story des Films gefällt und natürlich die Schauspielerinnen und Schauspieler.

Unterstützungspaket

Gespannt las ich den Text unter dem Titel, den manche Leute in der Fülle von Nachrichten möglicherweise nicht gelesen haben.  «Das Buch- und Verlagswesen, die Kinos und die visuellen Künste im Wallis erholen sich nur langsam von der Corona-Krise. Deshalb hat der Kanton nun ein Unterstützungspaket geschnürt.» Ach so, es geht nicht nur um die Kinos, es geht auch um Bücher. Als Autorin finde ich das schon mal toll. Und wie will der Staat diejenigen unterstützen, die Bücher schreiben? Schenkt er all seinen Staatsangestellten ein Buch zu Weihnachten? Nein, so ist es nicht.

Gratisbuch

Im Text erfahre ich mehr darüber, wie der Kanton Wallis den kleinen unabhängigen Buchhandel unterstützen will. Während einer gewissen Zeit bis zum 24. Dezember bekommt jede Person beim Kauf eines Buches ein zweites von einer Walliser Autorin, eines Walliser Autors geschenkt. Das Gratisbuch kann die Kundschaft aus einer Palette von Büchern auswählen, die vorrätig sind. Damit soll auf die Walliser Literatur aufmerksam gemacht werden und das gesamte Buch- und Verlagswesen im Wallis unterstützt werden. Eine löbliche Absicht. Funktioniert das auch so, wie es sollte? Schwer zu sagen.

Vielleicht entdecken gewisse Kunden erst jetzt, dass es auch eine Walliser Literatur gibt, weil sie bisher nur Bücher gekauft haben, die auf den Schweizer Bestseller-Listen stehen? Falls man die Frage mit ‚Ja‘ beantwortet, wäre ein Ziel des Gratisbuches erreicht.

mit Interviews von Leserinnen und Lesern

Ökonomie

Für mich als Autorin ist es eine zwiespältige Sache. Wenn mehr Leute meine Bücher lesen, hätte ich eine größere Leserschaft als ich ohne diese Maßnahme des Staates. Aber ist dieser Anreiz, Bücher zu kaufen, um eines geschenkt zu bekommen, der richtige Ansatz, um Walliser Autorinnen und Autoren zu unterstützen?

Ich habe Ökonomie studiert. Ökonomisch gesehen sagt ein Preis immer etwas darüber aus, welchen Nutzen sich ein Kunde von einer Sache verspricht. Sein Nutzen entspricht dem Preis, den er für die Sache bereit ist zu zahlen. Sei das Geld und/oder Zeit. Interessiert sich jemand überhaupt nicht für Bücher von Walliser Autorinnen und Autoren, dann ist sein Nutzen gleich null, den ihm ein solches Buch ihm bringt. Wenn ihm das Buch aber geschenkt wird, nimmt er es auf jeden Fall mit. Denn Null Nutzen = Preis Null. Preis und Nutzen entsprechen einander. Ob der Kunde das Buch lesen wird, ist eine andere Frage. Was gratis ist, lässt sich kaum jemand entgehen.

Nichts ist gratis!

Das ist ein Grundsatz aus der Ökonomie. Wenn ein Laden etwas gratis an die Kundschaft abgibt, dann ist das nicht kostenlos. Jemand zahlt im Grunde diese Sache. In einem Geschäft steckt die kostenlose Sache im Preis der begleitenden Sache mit drin, z.B. die kostenlose Einkaufstasche in einem Lebensmittelgeschäft.

Im Beispiel mit dem Gratisbuch ist es nicht so, dass der Kunde dies indirekt über die Preise aller anderen Produkte zahlt. Es ist der Staat, der das Gratisbuch bezahlt. Er vergütet die Bücher den Buchhandlungen zurück. Er finanziert die Maßnahme über die kantonale Covid-Unterstützung. Wer schlussendlich zahlt, ist der Steuerzahler.

Buchhandlungen verschwinden?

 Neben der finanziellen Seite darf man etwas nicht vergessen: Im kleinen Raum Oberwallis hat es nur noch wenige Buchhandlungen und nur einen einzigen Kleinverlag. Wenn diese wegfallen, geben wir einen Teil unserer Identität weg. Bücher werden dann nur noch im Online-Handel gekauft. Ist der Wandel der Zeit in dieser Branche noch aufzuhalten?

Eine Black-Friday-Aktion?

Man hört und liest immer wieder, dass die Aktion des Kantons Wallis eher nach Black-Friday-Ausverkauf aussehe als nach Förderung der Walliser Literaturszene.

Vorläufig ist die Aktion für die Literatur gestoppt, denn es erhob sich heftige Kritik. Der Besitzer der Buchladenkette Payot moniert Ungleichbehandlung, weil die drei Buchhandlungen im Oberwallis zugelassen sind, obwohl sie zur Orell-Füssli-Gruppe gehören.

Fazit: Die Aktion gestaltet sich alles andere als geplant.

Artikel aus dem Walliser Boten vom 23. November 2022